Schatten eines Gottes (German Edition)
Anwärtern im Rahmen einer feierlichen Zeremonie zum ersten Mal die heilige Mahlzeit zu sich nehmen, die aus Brot und Wein bestand.
Mit sieben Jahren war er bereits mit Wasser getauft worden und hatte mit Mithras einen Bund geschlossen. Heute sollte Sinan mit Öl gesalbt werden und einen neuen Namen erhalten. Obwohl er es gewohnt war, seine Gefühle nicht zu zeigen und auch bei ungewöhnlichen Vorkommnissen Gelassenheit zu bewahren, klopfte sein Herz heftig, denn der Meister selbst würde anwesend sein, und er war froh, dass im Feuerschein der Fackeln die aufgeregte Röte seiner Wangen nicht auffiel.
Nathaniel sah Sinan an den Altar treten. Ein kaum sichtbares Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Sinan war unzweifelhaft der schönste Knabe von allen, die heute die heilige Mahlzeit zu sich nehmen sollten. Nicht, dass er im unkeuschen Sinne beeindruckt gewesen wäre. Er war sowohl gegen weibliche als auch gegen männliche Verführungskünste gefeit. Seine Leidenschaften bewegten sich in anderen Sphären. Diese Schönheit war keine inhaltslose Larve. Sie drückte lediglich in aller Vollkommenheit aus, was Sinan im Inneren auszeichnete: Stolz, Mut und Härte, Intelligenz und Leidenschaft für die Sache. In ihm strahlte der göttliche Lichtfunke. Er war von edler Abstammung, und er war Sarazene. Er konnte helfen, Brücken zu bauen zwischen dem Orient und dem Okzident. Nathaniel hatte seinen Vater gekannt und nach den Kindern forschen lassen. Als er sie auf Burg Lichtenfels wusste, hatte er sogleich beschlossen, sie in seinen visionären Plan einzubinden.
Flüchtig gedachte Nathaniel seines Bruders Sarmad. Was für ein prächtiges Paar hätten die beiden abgegeben! Die Nachricht über dessen Tod hatte ihn hart getroffen. Doch heute war ein Freudentag und Nathaniel verscheuchte so trübe Gedanken.
Bevor Sinan auf den Stufen des Altars niederkniete, schenkte er dem Meister ein Lächeln, was Nathaniel wohlwollend zur Kenntnis nahm, denn Sinan ging sehr sparsam mit solchen Gefühlsregungen um. Er nickte ihm kaum merklich zu. Dann legte er ihm sanft, aber bestimmt die rechte Hand auf den Scheitel.
»Oh Mithras, du bist der Schützende, der immer Wachende, der jedes Unrecht sieht. Nimm dich dieses Knaben an und erfülle ihn mit deiner unendlichen Weisheit.«
Dann salbte ihm Nathaniel die Stirn mit geweihtem Öl. »Erhebe dich nun, Sinan! Wie die heilige Schlange sich ihrer Haut entledigt, hast du ein Teil deines alten Lebens abgeworfen und wurdest wieder erschaffen. Deinen alten Namen Sinan wirst du hier nicht mehr tragen, aber bewahre ihn wie ein altes Gewand aus gutem Tuch, er wird dir in der Welt nützlich sein. Dein heiliger Name sei Ranush. Er wird nur bei den heiligen Ritualen ausgesprochen. Damit du Teil des Lichtes werden kannst, teile nun Brot und Wein mit Mithras.«
Nathaniel reichte Sinan eine mit einem Kreuzzeichen versehene Hostie und ließ ihn einen Schluck Wein aus einem Becher trinken.
Es war ein uraltes Ritual, das den Sterblichen eins werden ließ mit dem Gott. Die Christen hatten den Brauch übernommen, sie nannten es heiliges Abendmahl. Selbst das Kreuz auf der Hostie hatten sie usurpiert, obwohl es bei Mithras kein Kreuz, sondern den Buchstaben T darstellte, der sich von dem uralten Fruchtbarkeitsgott Tammuz ableitete. Mit der Zeit war Tammuz zu Mithras geworden, Mithras mit Ahura Mazda verschmolzen. Unter den Römern avancierte er zu Sol invictus. Jetzt lieh er seine Aura einem jüdischen Rabbi namens Jesus. Er, der allezeit Ewige, hatte so viele Namen angenommen, wie es Völker gab, die das Licht anbeteten und die Finsternis verabscheuten.
Sinan war umfassend in diesen Dingen unterrichtet worden. Die Christen, so hatte er gelernt, hatten eine neue Religion erfunden und dabei Mithras bestohlen wie räudige Diebe. Sie hatten seine Heiligtümer zerstört oder entweiht und seine Anhänger getötet. Sie hatten sie ungläubige Heiden geschimpft, während in Wahrheit sie selbst diese Heiden waren, die nackt und bloß, bekleidet lediglich mit ihrer Machtgier und Bosheit, nichts Besseres wussten, als sich der Überlieferungen und heiligen Bräuche des Mithras zu bedienen.
Wohl gab es auch bei ihnen einen verehrungswürdigen Mann, der ein heiligmäßiges Leben geführt hatte, doch er wurde von den Römern gekreuzigt. Die verderbten Lügner schmückten sich gern mit ihm, bezeichneten ihn als Gottes Sohn und trugen seinen Namen Jesus vor sich her wie ein Feldzeichen. Doch ihm aufrichtig nacheifern und
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