Schatten eines Gottes (German Edition)
Bettelbrüder!
Endlich entdeckte er das niedrige Haus Ecke Marzellenstraße, das dem Marienhospital gehörte. Missmutig wanderte sein Blick an der rissigen Lehmwand mit den morschen Balken empor. Die Gemeinde St. Columba hatte es den minderen Brüdern zur Verfügung gestellt, die sich zur Armut und Mildtätigkeit verpflichtet hatten. Emanuel hatte gehört, dass die Mönche abgerissen und ungepflegt seien, ähnlich den Wanderpredigern, die in Scharen das Land durchzogen. Sie verfügten über keine eigenen Einkünfte und lebten von milden Gaben, die sie mit den Ärmsten teilten.
Es würde keine leichte Aufgabe werden. Aber er hatte sich nicht mit Eifer auf alles vorbereitet, um vor schwierigen Aufgaben zurückzuschrecken. Um sich in dieser Umgebung zu behaupten und gar etwas Gutes zu bewirken, bedurfte es eiserner Disziplin. So gesehen hatte der Abt hohes Vertrauen in sein Können gesetzt. Es war eine große Ehre, natürlich. Dennoch erlaubte Emanuel sich einen stillen Seufzer, bevor er an die wurmstichige Tür klopfte.
Ein mittelgroßer schlanker Mann in einer braunen, grob gewebten Kutte öffnete ihm. Bei seinem Anblick wich Emanuel betroffen einen Schritt zurück, und es hätte nicht viel gefehlt, er hätte sich bekreuzigt. Vor ihm stand der leibhaftig auferstandene Jesus Christus. Mit einem seligen Lächeln begrüßte er den übel gelaunten, verdreckten Bruder. Emanuel suchte vergeblich nach den richtigen Worten und räusperte sich, um seiner Überraschung Herr zu werden. Denn natürlich war dieser Mönch nicht der Heiland. Aber das schmale, bärtige Antlitz mit den gütigen Augen trug unverwechselbar jene Züge, mit denen die Maler und Bildhauer den Herrn Jesus Christus darzustellen pflegten. Obwohl Emanuel sich rasch wieder fing, bewirkte diese Begegnung doch, dass seine anfängliche Überheblichkeit, die er unter dem Habit trug, sich legte.
Der göttliche Doppelgänger stellte sich als Bruder Bernardo vor. Er begrüßte den Bruder aus Altenberg freundlich, ohne Scheu und ohne falsche Demut. Er habe ihn schon erwartet, die übrigen Mönche, sieben an der Zahl, seien außerhalb tätig und würden erst zum Abend eintreffen.
Bruder Bernardo bezeichnete sich als Hüter der Gruppe. Einen Prior oder gar einen Abt gab es nicht. Die Unterkunft stellte sich als eine einfache Herberge heraus, weit entfernt von einer Abtei, wie Abt Bruno behauptet hatte. Die winzigen Räume, über die die Mönche verfügten, waren jeweils durch grob gewirkte Hanfteppiche voneinander getrennt, in die sie sich zum Beten, zum Studieren der heiligen Schriften und zum Schlafen zurückziehen konnten. In der übrigen Zeit erwartete die Gemeinschaft, dass die Brüder hinaus auf die Straßen gingen, Spenden sammelten, predigten und gute Werke taten.
Herr, rechne mir diese Heimsuchung an beim Jüngsten Gericht,
dachte Emanuel, während er sich weiter umsah. Im niedrigen, muffig riechenden Gemeinschaftsraum, der ihnen als Kapelle und Refektorium gleichzeitig diente, hatten sie ein Kruzifix aufgestellt. Die Kerzenstummel zu beiden Seiten stanken nach Fischtran, ihre Flammen warfen einen gelblichen Schein auf den hölzernen Einband einer Bibel, wohl das wertvollste Stück im ganzen Haus. Der Rest des Raumes war in Dunkelheit gehüllt. Alles war dürftig, deckte nur das Notwendigste und manchmal nicht einmal das. Da Bruder Bernardo Emanuels Befremden bemerkte, erläuterte er: »Wir Anhänger der Lehre des Franz von Assisi erstreben nichts anderes. In völliger Armut und Bescheidenheit wollen wir dem Herrn dienen. Und alles, was über diese Bedürfnisse hinausgeht, gehört den Armen.«
Emanuel unterdrückte rasch einen Seufzer.
»Ich habe dir ein wenig Suppe aufgehoben. Du wirst müde sein nach der langen Wanderung.«
O ja,
dachte Emanuel,
meine Füße haben Blasen, mein Magen gleicht einem geschrumpften Weinschlauch und von meinem Körper blättert der Schmutz, aber ein Bad werde ich in dieser Herberge wohl vergeblich suchen.
Emanuel stellte sein Bündel neben einem grob gezimmerten Schemel ab und setzte sich an den großen Gemeinschaftstisch, der voller Flecken, Kratzer und eingeritzter frommer Sprüche war und den halben Raum einnahm. Bruder Bernardo setzte ihm eine Schüssel mit Suppe vor. Nachdem sie gemeinsam gebetet hatten, ließ Bernardo ihn allein. In der Schüssel befand sich eine dunkle Brühe, unter deren Oberfläche sich so manches verbergen mochte, nur kein Fleisch. Aber auch die Gemüsestücke musste Emanuel mühsam mit dem
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