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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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Über tausend Edelsteine und Perlen, Gemmen und Kameen waren in den filigranen Platten und den Giebelfeldern verarbeitet. Allein diese wunderbare Goldschmiedearbeit, die in Europa ihresgleichen nicht hatte, zog Besucher aus aller Welt an, auch jene, die vielleicht zweifelten, ob die darin befindlichen Gebeine wirklich den Weisen aus dem Morgenland gehörten. Doch das waren nur wenige, und es spielte auch keine Rolle. Das goldene Kunstwerk selbst hauchte genügend Ehrfurcht ein, und daheim konnten die Leute erzählen, sie hätten ein Wunder geschaut.
    Die Summe, die das Wunder die Kölner gekostet hatte, musste gewaltig gewesen sein, doch sie hatte sich gelohnt. Der Schrein hatte Köln einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung verschafft, und schon aus diesem Grunde war die Verehrung der Heiligen geboten und aufrichtig.
    Octavien fand sich inmitten von schreitenden, knienden und betenden Pilgern und sonstigen Bewunderern eingekeilt. An eine ruhige Andacht war nicht zu denken. Aber immerhin wurde die Kirchentür heute nicht von einer Horde Rangen versperrt. Er musste sich eine Weile gedulden, bis die Reihe an ihn kam, vor dem Schrein niederzuknien und seine Fürbitte anzubringen. Doch als er das Kunstwerk betrachtete, fand er, das Warten habe sich gelohnt. Wie von selbst beugten sich seine Knie, und man hätte nicht sagen können, was ihn mehr zu dieser Demutsgeste bewegt hatte, der Inhalt des Schreins, die meisterliche Handwerkskunst oder die Pracht des Goldes. Er war so vertieft in die Betrachtung, dass er vergaß, weswegen er gekommen war, nämlich um ein gutes Gelingen zu bitten.
    Aus dieser Versenkung riss ihn eine Stimme. »Selig, wer dieses Anblicks teilhaftig wird, denn er wird niemals an Gottes Herrlichkeit zweifeln müssen.«
    Octavien hatte dem zu seiner Rechten knienden Mönch keine Aufmerksamkeit gewidmet. Jetzt schenkte er ihm einen flüchtigen Blick. Der Mönch hatte das Haupt gesenkt, doch Octavien erkannte ihn sofort. Verdammt wollte er sein, wenn das nicht die Braunkutte vom Heumarkt war, die er bereits aus Altenberg kannte. Ein Zufall? Oder war der Mönch ihm gefolgt? Octavien tat, als habe er nichts gehört, und weil seine Aufmerksamkeit nun ohnehin abgelenkt war, wollte er rasch seine Fürbitte murmeln, da sprach der Mönch ihn direkt an: »Habt Ihr die Botschaft auch vernommen?«
    Auf den Knien rutschte Octavien eine Handbreit von ihm ab. Was wollte dieser Bettelmönch? Ihm mit seinem ungewaschenen Körper die Luft zum Atmen nehmen? Ihm seine Flöhe und Läuse zum Geschenk machen? Ihn anbetteln? Aus den Augenwinkeln beobachtete er das edle Profil, das ihn bereits auf dem Heumarkt beeindruckt hatte. Vielleicht war er ein Grafensohn, der den merkwürdigen Zwang verspürte, in Armut zu leben, um Jesus Christus nachzueifern. Octavien hielt solche Menschen für fehlgeleitet. Da von der hohen Geistlichkeit niemand barfuß auf einem Esel ritt, vielmehr alle wie die Fürsten lebten und herrschten, konnte der Armutspfad nur falsch sein. Die Kirche war der rechtmäßige Nachfolger Jesu und wies den richtigen Weg. Gleichheit aller Menschen gab es erst im Paradies. Man müsste sich nur vorstellen, wohin es mit der Welt käme, wenn alle Menschen ihren Reichtum von sich würfen. Alle würden glatt verhungern. Diese Bettelmönche lebten schließlich auch nur davon, dass es Besitzende gab, die ihnen etwas schenkten.
    Alle diese Gedanken beschäftigten Octavien zwei Sekunden, bevor er sich herabließ, dem Mönch zu antworten: »Welche Botschaft?«
    »Die des Knaben Nicholas.«
    »Das ist ein armer Junge, den Ihr irregeleitet habt!«, entfuhr es Octavien heftiger als beabsichtigt.
    »Dann zweifelt Ihr an Gottes Wegen?«
    »Nein, aber oftmals an der menschlichen Vernunft. Ich hoffe immer noch, der Bischof wird eingreifen und ein Machtwort sprechen.«
    Octavien erhob sich ruckartig und klopfte sich den Staub von den Knien. Dabei ruhte sein verächtlicher Blick auf der armseligen Kutte. »Was wollt Ihr von mir?«, presste er leise zwischen den Zähnen hindurch, denn sie waren nicht allein. »Ihr habt mir bereits auf dem Heumarkt nachgestellt.«
    Emanuel erhob sich ebenfalls. »Mit Verlaub. Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich entbiete vielen guten Christenmenschen in Gottes Namen einen Gruß.«
    »Schön. Dabei sollte es auch bleiben.«
    Octavien schlug flüchtig sein Kreuz und wollte gehen.
    »Ihr habt es sehr eilig, Octavien de Saint-Amand.«
    Octavien starrte ihn ärgerlich an. Dann senkte sich ein

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