Schatten ueber Broughton House
hier bleiben und arbeiten und dich um uns kümmern.“
Frank seufzte. „Ich weiß. Aber jetzt hält mich nichts mehr. Ihr seid erwachsen, und selbst der Laden kommt ohne mich aus, seit Sean und Robert mir dort helfen. Nichts hält mich nun davon ab, nach England zu fahren und mich der Sache anzunehmen. Vor Jahren schon hätte ich das tun sollen! Nachlässig bin ich gewesen, gar keine Frage. Kein Wunder, dass Dennis jetzt gekommen ist, um mich an meine Pflicht zu erinnern.“
„Dad, gewiss ist Dennis nicht deswegen zurückgekommen“, wandte Megan ein und warf ihrer Schwester einen flehentlichen Blick zu. Sie wollte auf gar keinen Fall, dass ihr Vater Hals über Kopf nach England aufbrach, um den Tod seines Sohnes zu rächen. Weiß der Himmel, was er tun würde! Er könnte im Gefängnis landen - oder ein noch schlimmeres Ende finden wenn er in seinem Zorn den englischen Lord angriff, der Dennis auf dem Gewissen hatte.
Zu Megans Verärgerung runzelte ihre Schwester indes die Stirn und sagte: „Ich bin mir nicht sicher. Dennis hat zu mir nicht von seinem Tod gesprochen. Aber er war so außer sich ... so verzweifelt. Es war offensichtlich, dass er unsere Hilfe braucht.“ „Natürlich tut er das.“ Frank nickte. „Er will, dass ich den Mord räche.“
„Bloß wie?“, fragte Megan besorgt. „Du kannst nicht einfach nach England gehen und das Gesetz selbst in die Hand nehmen!“
Ihr Vater schaute sie an. „Ich hab ja auch nicht gesagt, dass ich diesen verlogenen Halunken umbringen will - wenngleich ich das am liebsten tun würde, das kannst du mir glauben! Nur will ich nicht das Blut eines Mannes an meinen Händen und seinen Tod auf dem Gewissen haben. Ich werde ihn vor Gericht bringen.“
„Nach so langer Zeit? Aber Dad ...“
„Schlägst du vielleicht vor, dass wir nur zusehen und nichts tun sollen?“, polterte Frank los und zog seine Augenbrauen in beachtliche Höhen. „Den Mann, der deinen Bruder ermordet hat, davonkommen lassen? Das hätte ich niemals von dir gedacht.“
„Natürlich finde ich nicht, dass wir ihn einfach davonkommen lassen sollten“, entgegnete Megan aufgebracht, und ihre Augen funkelten. „Ich will ebenso sehr wie du, dass er bezahlen muss für das, was er Dennis angetan hat.“
Ihr Bruder war gerade einmal drei Jahre älter gewesen als sie, und ihr ganzes Leben lang waren sie einander sehr nah gewesen. Nicht nur die Familienbande schmiedeten sie aneinander, auch in ihrem Wesen und ihrem verschmitzten Humor ähnelten sie sich. Voller Neugier, Tatkraft und Entschlossenheit hatten sie sich beide in der Welt behaupten wollen, und während Dennis danach strebte, die Welt als Forschungsreisender zu entdecken, war es immer Megans Ziel gewesen, Zeitungsreporterin zu werden.
Mit viel Ausdauer und Hartnäckigkeit hatte sie ihren Traum verwirklicht und eine Anstellung bei einem kleinen New Yorker Blatt bekommen, wo sie für das Gesellschaftsressort schrieb. Ihr Talent, ihre Durchsetzungskraft und viel harte Arbeit ebneten ihr schließlich den Weg auf die Nachrichtenseiten und dann zu einer größeren Zeitung. Aber ihr Erfolg hatte einen bittersüßen Beigeschmack, war doch Dennis nicht mehr da, ihre Freude mit ihr zu teilen. Auf seiner ersten Reise an den Amazonas war er gestorben.
„Gut, meine Worte waren zu hart , lenkte Frank ein und griff nach der Hand seiner Tochter. „Ich weiß ja, dass du seinen Mörder auch bestraft sehen willst. Wir alle wollen das.“
„Ich weiß allerdings nicht, welche Beweise wir nach so langer Zeit zu finden hoffen“, meinte Megan.
„Da war noch etwas“, bemerkte Deirdre. „Dennis ... ich glaube, er hat etwas gesucht.“
Megan schaute ihre Schwester verständnislos an. „Was soll er denn gesucht haben?“
„Das weiß ich nicht genau. Aber es bedeutet ihm sehr viel. So kann er nicht zur Ruhe kommen.“
„Hat er das gesagt?“ Erneut fühlte Megan einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen. An sich glaubte sie ja nicht, dass die Toten zurückkehrten, um mit den Lebenden zu sprechen, aber dennoch ...
„Er sagte etwas davon, dass er sie finden müsse ... oder es. Ich bin mir nicht sicher, was er sucht“, erklärte Deirdre. „Nur konnte ich spüren, wie verzweifelt er war, wie viel es ihm bedeutete.“
„Der Engländer hat Dennis aus einem ganz bestimmten Grund umgebracht“, stellte ihr Vater fest, und seine Stimme bebte vor Aufregung. „Wir haben nie erfahren, was der Anlass gewesen war, aber es muss einen gegeben haben.
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