Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
zeigte sich der Mut des Tieres in seiner reinsten Form, und das würde Gabe nicht vergessen, ob er nun gewann oder nicht.
Die letzte halbe Meile. Double und das führende Pferd setzten sich immer mehr vom gesamten Feld ab. Die Menge tobte, jubelte ihnen zu. Doch Gabe hörte nur Kelseys Stimme neben sich, die Double leise anfeuerte.
Am Anfang der Geraden erzwang Double sich die Führungsposition. Die Zielgerade des Belmont galt als besonders anspruchsvoll und forderte den Pferden ihr Letztes ab. Auch der Hengst aus Kentucky begann jetzt, das Feld aufzurollen, und jagte wie der Blitz auf die Spitze zu.
Aber es war zu spät. Was dem Hengst von Longshot in jener stürmischen Winternacht auf seinen Lebensweg mitgegeben worden war, was Gabe damals in seinen Augen gelesen hatte, als er kaum eine Minute alt war, trieb ihn jetzt stärker an als die Peitsche, die über seinen Rücken zischte.
Mit zwei Längen Vorsprung donnerte er ins Ziel und gewann das Belmont und damit die Triple Crown.
Einen Moment lang konnte Gabe nur fassungslos ins Leere starren. Zu viele verschiedene Empfindungen wühlten sein Innerstes auf, als daß er einfach nur Freude über den Sieg hätte verspüren können. Es war sein Pferd, das jetzt in einen leichten Galopp fiel, wobei sich sein Reiter hoch in den Steigbügeln aufrichtete, sein Traum war in Erfüllung gegangen. Was auch geschehen mochte, diesen strahlenden Augenblick konnte ihm und seinem einzigartigen Hengst niemand mehr nehmen.
»Was für ein Pferd«, murmelte er rauh. Benommen blickte er auf Kelsey und bemerkte Tränen auf ihren Wangen. »Was für ein Pferd.«
»Ja.« Obwohl ihr die Tränen über das Gesicht liefen, lachte sie vor Freude laut auf und umarmte Gabe. »Herzlichen Glückwunsch, Slater! Du hast es geschafft!«
»Herrje! Wir haben’s wirklich geschafft.« Ungeachtet der sie umringenden Kameras schwang er Kelsey hoch in die Luft. Und sie lachte immer noch, als er sie küßte.
Einige hundert Meilen entfernt saß Rich in seinem Hotelzimmer und starrte gebannt auf den Fernsehschirm. Er war nicht nach New York gefahren, denn er hatte es angesichts der zu erwartenden Ereignisse für klüger und sicherer gehalten, sich dort nicht blicken zu lassen.
Er nickte zufrieden, als die Kameras von dem siegreichen Hengst zu seinem Besitzer schwenkten. »Genieß es nur, so lange du noch kannst, mein Junge«, brummte er, ehe er sich mit zwölf Jahre altem Scotch selbst zuprostete. Ein häßliches Grinsen umspielte seine Lippen, als er den Kuß sah und die atemlose Stimme des Ansagers hörte, der Gabriel Slater und Kelsey Byden zwei freundschaftlich verbundene Rivalen nannte.
Rich lehnte sich zurück, jetzt brauchte er nur zu warten. Nach dem Rennen würde dem Hengst, wie nach jedem Rennen, eine Speichelprobe entnommen werden. Und dann, dachte Rich, würde Gabe nicht mehr so breit lachen.
So war es sogar noch besser, dachte er, denn der schon sicher geglaubte Sieg würde Gabe wieder genommen werden.
Dank Naomis kleinem Mädchen hatten sich die Dinge hervorragend entwickelt. Wenn sie nicht in jener Nacht überraschend im Stall aufgetaucht wäre und das verhindert hätte, was dem Pferd zugedacht war, wäre es gar nicht gestartet.
Aber er war das Rennen gelaufen, und er hatte gesiegt. Und in wenigen Augenblicken würde die schockierende Meldung kommen, daß man bei Double or Nothing verbotene Medikamente nachgewiesen hatte.
Dann würde Gabe nicht nur als Verlierer, sondern auch noch als Betrüger dastehen, und es würde einen gewaltigen Skandal geben.
Voller Vorfreude auf seinen ganz persönlichen Sieg schlürfte Rich seinen Drink. Als das offizielle Ergebnis durchgegeben wurde, zuckte er so heftig zusammen, daß sein Drink überschwappte.
Neun. Fünf. Zwei.
Vor Entsetzen registrierte er die Berichte über Siegprämien und Gewinnauszahlungen kaum noch. Mit offenem Mund starrte er auf den Bildschirm, den Pferd und Reiter, beide mit weißen Nelken bekränzt, ausfüllten. Dann erschien Gabe im Bild, der seinem Jockey gratulierte, den Arm besitzergreifend um Kelsey gelegt, und sich dann mit einer sentimentalen Geste wie ein Fernsehcowboy vorbeugte, um den schweißglänzenden Hengst zu küssen.
Richs Glas flog krachend gegen den Fernseher, wo es zerschellte. Er sprang vom Sessel hoch und schlug auf das Gerät wie besessen mit den Fäusten ein, bis seine Knöchel rot anliefen, dann trat er mit voller Wucht dagegen und warf den Fernseher vom Tisch, nur noch von dem einen Wunsch
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