Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Vermutlich hat der Schock, daß er für mich und nicht für sie Partei ergriffen hat, das Blatt gewendet.«
»Er liebt dich auch.« Kelsey ging wieder an die Arbeit. »Haben die beiden Probleme, Channing?«
»Die Atmosphäre ist etwas gespannt. Aber jetzt, wo ich hier bin, haben sie ja Zeit und Ruhe genug, sich auszusprechen. Außerdem gibt Mom eher dir die Schuld.«
Kelsey verzog das Gesicht. »Schätze, das steht mir einiges bevor.«
»Mom ist nicht nachtragend, jedenfalls grollt sie nie lange. Ihr Weltbild ist aus den Fugen geraten, weiter nichts. Sie braucht nur etwas Zeit, um sich daran zu gewöhnen.«
»Störe ich?« Reno stand am Eingang der Box.
»Hi, Reno.« Kelsey wandte den Kopf, striegelte aber den Jährling weiter. »Du kennst meinen Bruder Channing noch?«
»Klar. Wie geht’s denn so?«
»Bestens. Was macht die Schulter?«
Unwillkürlich bewegte Reno die verletzte Schulter. »Es wird schon besser. In ein paar Wochen kann ich wieder in den Sattel. Ich habe ein Angebot, in dieser Saison beim European Circuit zu reiten.«
»Moses hat auch schon davon gesprochen«, meinte Kelsey. »Wir schicken High Water hin. Ich hoffe, du wirst ihn dann reiten.«
»Möglich. Das ist doch Honor, nicht? Naomis Honor.«
»Das ist sie. Was hältst du von ihr?«
»Ich überlasse euch zwei euren Fachsimpeleien«, unterbrach Channing. »Wenn Moses mich bei einem Schwätzchen erwischt, kürzt er mir den Lohn. War nett, dich zu sehen, Reno.«
»Bis dann.« Reno trat in die Box und bückte sich. Die Beine eines Vollbluts waren immer das Wichtigste. Wortlos ging er um das Pferd herum und strich mit den Händen über Brust, Flanken und Widerrist, dann prüfte er Augen und Zähne.
»Ein schönes Tier«, sagte er schließlich. »Wunderbar gebaut, genügend Lungenkapazität. War sie schon mal in der Startbox?«
»Ja. Wir hatten keine Probleme. Sie erschrickt zwar leicht, aber seit wir dazu übergegangen sind, Scheuklappen zu verwenden, ist sie ruhiger geworden.« Die Stute stupste sie am Arm, und gehorsam zog Kelsey eine Möhre aus der Tasche. »Sie hat eigentlich ein eher sanftes Naturell, aber beim Rennen zeigt sie Feuer und Temperament. Moses meint, wir sollten sie nächstes Jahr probeweise bei einigen Rrennen starten lassen. Hast du Interesse?«
»Ein schönes Tier«, wiederholte Reno, der zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und hergerissen war. »Warum soll ich sie denn reiten?«
»Zum einen, weil ich deinen Stil kenne, zum anderen, weil du ein Pferd nicht nur als Mittel zum Zweck betrachtest. Du trainierst die Tiere selber, du bist oft im Stall, du behandelst ein Pferd als Partner.« Sie zögerte und kraulte Honor hinter den Ohren. »Ich weiß, daß du Pride geliebt hast, Reno. Man hat dir angemerkt, wieviel du von ihm gehalten hast. So einen Reiter möchte ich für Honor.«
Reno wandte sich ab und kämpfte mit den Tränen. Ihre Worte trafen ihn wie kleine, scharfe Pfeile. »Ich habe dieses Pferd geliebt«, sagte er mit schwankender Stimme, und er gab auf, sie unter Kontrolle halten zu wollen. »Pride hätte alles für mich getan, und am Ende hat er sein Leben für mich gegeben.«
»Reno, du darfst dir keine Vorwürfe machen.«
»Ich hab’ ihm doch nicht schaden wollen. Wie konnte ich denn ahnen, daß das Rennen ihn umbringt?« Ausdruckslos starrte Reno vor sich hin. »Wie hätte ich das ahnen können?«
»Keiner konnte das ahnen«, sagte Kelsey sanft. »Früher oder später finden wir heraus, wer dafür verantwortlich war.«
Reno stieß keuchend den Atem aus. »Früher oder später.« Er wich einen Schritt zurück. »Das ist ein gutes Pferd hier.«
»Wirst du sie reiten?«
Reno warf ihr einen Blick zu, in dem eine so herzzerreißende Verzweiflung lag, daß sie auf ihn zuging. Aber als sie die Hand nach ihm ausstreckte, gab er ein leises Stöhnen von sich und lief davon.
25
»Ich sag’ dir, Gabe, es hat mir fast das Herz gebrochen.«
Kelsey saß auf seinem langen, bequemen Sofa, ein Glas Wein in der Hand, und zog die Beine an. Es war ein warmer Abend, Türen und Fenster standen weit offen, und ließen die leichte Brise, die einen süßlichen Blumenduft mit sich brachte, herein. Doch Kelsey hatte noch immer die abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit vor Augen, die Renos Gesicht gezeigt hatte, als er Honor ansah.
»Er muß wieder in den Sattel.«
Gabe, der sich auch auf dem Sofa ausgestreckt und die Füße in Kelseys Schoß gelegt hatte, blies genüßlich Rauchwolken an die Decke und erwiderte nichts.
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