Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
beherrscht, den Apparat zu zerstören, der ihm solche Bilder zeigte.
Als er schließlich keuchend und völlig ausgepumpt von seinem wahnsinnigen Treiben abließ, stank der Raum
nach Rauch, Scotch und Schweiß. Seine Knöchel bluteten, er atmete rasselnd. Er stieg über einen zerbrochenen Stuhl und nahm die Flasche hoch. Der größte Teil des Scotch war auf den Teppich geflossen, aber mit dem Rest linderte er den Brechreiz, der ihn würgte. Danach war er wieder klarer.
Jetzt sollten Köpfe rollen, schwor er sich. Und da er sich offenbar auf niemanden verlassen konnte, müßte er sich persönlich um alles kümmern.
In der Woche, die auf Doubles Triple-Crown-Sieg folgte, blieb kaum Zeit zum Nachdenken. Auf Three Willows ging alles, ungeachtet der plötzlichen Berühmtheit des Nachbarn, seinen gewohnten Gang. Die Rennsaison war mit dem Belmont nicht zu Ende, und die tägliche Pflege und das Training der Pferde ließen keine Zeit, um sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen.
Und Kelsey verfolgte ihre eigenen ehrgeizigen Ziele. Darunter auch das, selbst einmal einen Champion zu stellen. Mit Honor standen diese Chancen nicht schlecht, und sie war entschlossen, sie zu nutzen.
Ihr anderes Ziel, das Puzzle der Vergangenheit wieder zusammenzufügen, hatte sie gleichfalls nicht aus den Augen verloren. Auch wenn Charles Rooney keinen ihrer Anrufe annahm, sie würde ihn schon noch mürbe machen. Irgendwann würde er doch mit ihr sprechen. Captain Tipton wollte sie ebenfalls noch einmal aufsuchen, und wenn es sein mußte, würde sie sogar ihren Vater bitten, die fraglichen Monate seines Lebens Tag für Tag durchzugehen, bis sich ein klares Bild ergab.
Das Bild, das im Moment Gestalt annahm, war das einer Frau, die ihren Mann sehr geliebt hatte. Einer Frau, die sicherlich aus Stolz, Eitelkeit und Starrsinn, große Fehler gemacht hatte. Doch was eine eigensinnige, manchmal sogar rücksichtslose Frau zur Mörderin gemacht hatte, mußte Kelsey noch herausfinden.
»Hey, Schwesterchen.«
»Channing.« Kelsey drehte sich um, den Schwamm
noch in der Hand, und gab ihm einen Kuß. »Ich hatte noch keine Zeit, um dir zu sagen, wie froh ich bin, daß du wieder hier bist.«
»Ich bin ja auch erst seit ein paar Stunden hier. Obwohl, nach meinen Rückenschmerzen zu urteilen, kommt es mir schon wie Tage vor.« Channings Hemd war bereits schweißnaß. »Moses hat mich so schnell zum Arbeiten gekriegt, daß es mir vorkommt, als wäre ich nie weggewessen.«
»Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet.« Mit behutsamen Bewegungen wusch Kelsey ihrem Jährling den Kopf ab. »Der Juni ist schon halb vorbei.«
»Es hat mich auch harte Kämpfe und viel Zeit gekostet, um alles zu regeln.«
»Candace ist immer noch dagegen?«
»Man kann mit gutem Gewissen behaupten, daß sie über meine Entscheidung nicht allzu glücklich ist. Wir hatten ziemlich heiße Diskussionen.«
»Das tut mir leid.«
»Mir nicht. Da kam vieles zur Sprache, was schon lange fällig war. Vor allem für mich. Sie wollte, daß ich die Familientradition fortführe. Mein ganzes Leben lang hat sie von mir erwartet, daß ich wie mein Vater und mein Großvater ein brillanter Chirurg werde. Sie hat es von mir erwartet, und ich habe sie in dem Glauben gelassen.«
»Wolltest du denn nicht selber Medizin studieren?«
»Nein, ich studiere Veterinärmedizin.« Er hielt ihrem Blick stand, denn er rechnete mit Einwänden oder sogar mit einem geringschätzigen Lachen. Statt dessen trat Kelsey zu ihm und küßte ihn leicht auf beide Wangen.
»Prima.«
»Mehr sagst du nicht dazu?«
»Es ist absolut frustrierend, wenn man den Erwartungen anderer Menschen – besonders, wenn es sich um die eigene Familie handelt – gerecht werden soll, davon kann ich auch ein Lied singen. In den letzten paar Monaten habe ich das nur zu deutlich erfahren. Aber ich nehme an, das weißt du alles schon. Candace wird sich schon wieder
beruhigen, Channing. Sie liebt dich, und letztendlich wird sie klein beigeben.«
»Vielleicht.« Channing schob mit den Füßen das Stroh hin und her. »Ich hasse es, mich mit ihr zu streiten, und ich hasse mich, weil ich wahrscheinlich doch nicht nachgegeben hätte, wenn der Prof. sich nicht für mich eingesetzt hätte.«
»Dad? Wirklich?«
»Er hat regelrecht zur Schlacht geblasen – nur die Hörner fehlten.« Channing grinste. »Er hat einfach nur in seiner ruhigen, geduldigen Art auf sie eingeredet. Ich habe noch nie erlebt, daß er so mit ihr umgegangen ist.
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