Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
beschwichtigend ins Ohr.
»Ganz ruhig. Du willst doch nicht, daß dich alle für ein gewöhnliches Pferd halten?«
Aber auch sie konnte nicht zaubern. Die Stute beruhigte
sich beim Klang ihrer Stimme nicht gleich, aber nach einigen weiteren widerspenstigen Bewegungen stand sie still.
»Sie mag mich«, verkündete Kelsey.
»Sie überlegt, wie sie dich am besten abwerfen kann.«
»Nein.« Kelsey grinste auf Moses hinunter. »Sie mag mich.«
»Das werden wir ja sehen.« Moses wartete, bis Kelsey fest im Sattel saß. »Gut so. Jetzt an die Arbeit.«
Wie Moses treffend bemerkte, war diese Arbeit zunächst ein Kinderspiel. Kelsey würde nur im Sattel sitzen müssen, während ein Ausbilder Honor auf der Jährlingsbahn herumführte, deren hohe Mauern Pferd und Reiter nach außen abschirmten.
Hatte sich die Jährlingsstute erst einmal an das Gewicht des Reiters gewöhnt, nahm der Betreuer sie an die Longe, und dann war es schließlich an Kelsey, sie zu lenken.
So würden sie zusammen lernen.
»Wie macht sie sich denn?« wollte Naomi wissen, als sie sich zu ihnen gesellte.
»Wie man es von ihr erwartet. Sie ist schließlich eine Chadwick.« Moses nahm ihre Hand und streichelte sie, eine seiner seltenen öffentlichen Zärtlichkeitsbekundungen. »Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß du dich selbst davon überzeugst.«
»Ich war zu nervös.« Naomi schaute, wie Kelsey den Jährling unter Kontrolle brachte. »Sie ist jetzt seit einem Monat hier, Moses, und sie hat noch kein Wort über ihre Abreise verloren.« Sie hakte die Daumen in die Hosentaschen. »In den letzten Wochen ist so viel Unerfreuliches geschehen, daß ich beinahe jeden Tag gefürchtet habe, sie würde ihre Sachen packen und gehen.«
»Du siehst eben nicht richtig hin, Naomi.« Moses lächelte nachsichtig, als Kelsey kurz ihre eigentliche Aufgabe vergaß, sich vorbeugte und ihr Gesicht an der weichen Mähne des Jährlings vergrub. »Sie wird nirgendwo hingehen.«
Auf Moses’ Kommando zügelte Kelsey die Stute und ritt langsam auf die beiden zu. »Sie ist wundervoll!«
»Ja.« Naomi empfand einen solchen Stolz, daß es sie selbst erschreckte. Sie hob eine Hand, um die Stute zu streicheln, dann fuhr sie mit den Fingerspitzen zart über Kelseys Wange und sagte: »Ihr paßt großartig zusammen.«
»Ich fühle mich auch großartig.« Nachdem Moses Honor mit einer Möhre belohnt hatte, streckte Kelsey die Hand aus: »Hab’ ich mir nicht auch eine verdient?«
»Na ja. Ich will mal nicht so sein.«
Kelsey biß herzhaft in die Möhre. »Jetzt, wo ich keine Angst mehr habe, fängt die Sache an, mir Spaß zu machen.« Sie klopfte Honor auf den Hals und betrachtete sie verzückt. »Kann ich morgen wieder mit ihr arbeiten, Moses?«
»Und übermorgen auch«, sagte er. »Du bist ab sofort für sie verantwortlich.«
»Wirklich?« Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, aber sie begnügte sich damit, ihn strahlend anzulächeln. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«
»Wenn du das tust, kürze ich deinen Lohn.«
Jetzt grinste sie: »Ich kriege ja gar keinen.«
»Du stehst seit zwei Wochen auf der Lohnliste.« Da Kelsey ihn nur entgeistert anstarrte, zwinkerte Moses ihr zu. »Freitag bekommst du deinen ersten Scheck.«
»Das ist wirklich nicht nötig. Ich . . .«
»Du tust deine Arbeit und bekommst dein Geld dafür«, erwiderte Moses bestimmt. Schließlich war er für die Lohnbuchhaltung verantwortlich. »Natürlich fängst du ganz unten an. So wie du damals, Naomi.«
»Niedrigste Stufe.« Naomi verzog das Gesicht. »Mein Vater bestand darauf, daß ich mir jeden Penny – und ich bekam wirklich nur einen Hungerlohn – auch verdiente. Er war der Ansicht, daß ich später mein Erbe mehr zu schätzen wüßte. Und er hatte recht.«
Kelsey überlegte. Wahrscheinlich war es am besten, wenn sie ihre Beziehung auf rein geschäftlicher Ebene hielten. »Wie hoch ist denn der Hungerlohn?«
»Du kommst auf ungefähr zweihundert pro Woche«, erklärte Moses.
Kelsey hob die Brauen. »Und wann kriege ich eine Lohnerhöhung?«
Lachend trat Naomi näher. »Du hättest meinem Vater gefallen.« Sanft streichelte sie Honors Hals. »Sie mag dich.«
Kelsey warf Moses einen triumphierenden Blick zu. »Was habe ich gesagt?«
»Ich habe dreiundzwanzig Geburtstage versäumt.« Naomis eigenartiger Ton ließ Kelsey aufhorchen. »Und dreiundzwanzig Weihnachtsfeste. Also gibt es viel nachzuholen.« Äußerlich ruhig, doch innerlich aufgewühlt, sah sie ihrer
Weitere Kostenlose Bücher