Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
gestreichelt hatte. »Willst du mir Gesellschaft leisten?«
Sie drehte sich um, weil sie die Gurte an Honors Sattel überprüfen wollte. »Ich habe eigentlich die Absicht, Naomi in den Siegerring zu begleiten.«
Er faßte sie fest an der Schulter. »Komm doch mit nach Keeneland, Kelsey! Ein paar Tage, an denen wir Zeit für uns haben.« Mittlerweile strömte sie auch schon den typischen Pferdegeruch aus, vermischt mit ihrer eigenen Duftnote nach Zitrone und Frühling. »Ich frage mich, wie oft ich dich auf einem solchen Kurztrip wohl lieben kann.«
Kelseys Beine wurden weich, aber sie sagte kühl: »Gibt es da einen Rekord?«
»Den werde ich dann übertreffen.« Ohne den Blick von ihr zu wenden beugte er sich vor: »Du hast . . .«, er biß leicht auf ihre Unterlippe und beobachtete, wie sich ihre
Pupillen weiteten, ». . . einen absolut unwiderstehlichen Mund.«
»Laß das Mädchen in Ruhe!« Moses bemühte sich, ärgerlich zu wirken, und zog Gabe heftig am Arm. »Willst du dich mit der Konkurrenz verbrüdern, Kelsey, statt deinen Job zu machen?«
Sie setzte ihren Hut auf und hob trotzig das Kinn. »Beides«, gab sie zurück, wandte sich ihrem Pferd zu, und Moses half ihr hinauf.
»Ganz schön anmaßend«, brummte er.
»Nein, er macht sich Hoffnungen«, verbesserte sie. Dann ritt sie langsam auf den Stahlkäfig zu, dessen Tore weit geöffnet waren, damit Honor nicht sofort vor der Enge zurückscheute. Trotzdem warf die Stute den Kopf zurück und versuchte auszubrechen. Kelsey wußte, sie wollte ihre Kraft erproben.
»O nein, so nicht«, schimpfte sie leise, »noch hab’ ich hier was zu sagen. Du willst uns doch nicht vor unserem Publikum blamieren?« Ein leichter Schenkeldruck, Kelsey packte die Zügel fester und trieb Honor vorwärts. Erst als sie direkt in der Box waren, brachte sie die Stute zum Stehen.
»Siehst du, alles halb so schlimm«, murmelte sie. »Du mußt ja auch nicht lange hierbleiben. Alles, was zählt, ist das, was nachher passiert.« Langsam verließen Pferd und Reiterin die Box, drehten eine Runde und wiederholten die Prozedur.
»Sie hat gute Hände«, bemerkte Moses.
»Auf einem Pferderücken könnte man sie fast mit Naomi verwechseln.« Gabe schob die Hände in die Hosentaschen und fragte: »Wie geht es mit denbeiden voran?«
»Langsam und stetig. Keine entscheidenden Fortschritte, aber ich würde sagen, die erste Hürde haben sie genommen, als Naomi ihr diesen Jährling schenkte.«
»Sie setzt große Hoffnungen auf das Pferd.«
»Und noch größere auf das Mädchen.« Moses nutzte die Gunst der Stunde und blickte Gabe fest an. »Kelsey hat zwar einen Vater, aber der ist nicht hier, also fühle ich mich
als sein Stellvertreter und sage dir eins: Sei vorsichtig! Kelsey gehört nicht zu der leichtfertigen Sorte, und Naomi würde sich gewaltig aufregen, wenn du ihrem Mädchen weh tust.«
Gabes Gesicht bekam einen verschlossenen Ausdruck, aber er ließ sich seinen Groll nicht anmerken. Er legte nur Neugier in seine Stimme: »Und du vermutest, daß ich das tun will?«
Moses zupfte eine Zigarre aus Gabes Tasche und verstaute sie in seiner. »Spiel hier nicht den Geheimnisvollen, mein Junge. Mein Volk hatte die ersten Geheimnisse dieser Erde bereits gelüftet, als deine Vorfahren noch in Höhlen hausten und sich von rohem Fleisch ernährten. Ich vermute gar nichts. Ihr zwei gebt ein hübsches Paar ab.« Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, daß Kelsey keine Probleme hatte. »Aber erst wenn man die Rose gepflückt hat, weiß man, ob die Dornen stechen.«
Gabes Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Ein weiser Spruch.«
»Ich möchte doch nur verhindern, daß du sie zu sehr bedrängst. Das Mädchen hat nämlich Herz.« Über sich selbst verärgert stapfte Moses durch das Gras, um Kelseys Fortschritte zu begutachten.
Ja, sie hat Herz, stimmte Gabe zu, der beobachtee, wie sie aufmerksam Moses’ Ratschlägen lauschte. Und dazu noch blaues Blut.
Viele, die ihn kannten, behaupteten, er habe überhaupt kein Herz. Und mit Sicherheit floß kein Tropfen blauen Blutes in seinen Adern. Doch das hatte ihn früher nicht gehindert, seine Ziele zu verfolgen, und das würde es auch jetzt nicht tun.
Es gab genug Frauen, die bereit waren, diesen Makel zu übersehen, und viele hatten es schon getan, dachte er zynisch. Sie hatten über einen gewalttätigen Säufer als Vater, einen kurzen Gefängnisaufenthalt und einen Hang zum Glücksspiel einfach hinweggesehen.
Aber er wollte nicht
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