Schatten ueber Innsmouth
der Krankheit. Es würde schwerfallen, so meinte der junge Mann, in dieser Hinsicht irgend etwas Definitives herauszubekommen, denn man lerne die Einheimischen nie persönlich kennen, ganz gleich, wie lange man in Innsmouth lebe.
Der junge Mann war fast sicher, daß viele Leute, die noch schlimmer aussähen als die abstoßendsten Gestalten, die sich auf die Straße wagten, irgendwo hinter Schloß und Riegel versteckt würden. Man könne manchmal die absonderlichsten Geräusche hören. Die baufälligen Hütten am Meer, auf der Nordseite des Flusses, seien angeblich durch unterirdische Gänge miteinander verbunden und stellten förmlich eine Brutstätte für nie gesehene Abnormitäten dar. Welche Art fremdländisches Blut wenn überhaupt in den Adern dieser Wesen flösse, könne man unmöglich sagen. Manchmal versteckten sie einige der widerwärtigsten Exemplare, wenn Regierungsbeamte oder andere Ortsfremde in die Stadt kämen.
Es würde keinen Zweck haben, meinte mein Informant, den Einheimischen irgendwelche Fragen über ihre Stadt zu stellen. Der einzige, der vielleicht sprechen würde, sei ein sehr alter, aber normal aussehender Mann, der im Armenhaus am Nordrand der Stadt lebe und seine Zeit damit zubringe, in der Stadt herumzulaufen oder in der Nähe der Feuerwache herumzulungern. Dieser wunderliche Alte, Zadok Allen, habe 96 Jahre auf dem Buckel und sei nicht mehr ganz richtig im Kopf, außerdem ein stadtbekannter Trunkenbold. Er sei ein merkwürdiger, scheuer Mensch, der sich ständig umblicke, als habe er vor etwas Angst, und im nüchternen Zustand könne man ihn nicht dazu bringen, auch nur ein Wort mit einem Fremden zu wechseln. Er könne jedoch nie widerstehen, wenn man ihm seinen Lieblingsstoff anbiete, und wenn er erst einmal betrunken sei, erzähle er einem mit flüsternder Stimme die erstaunlichsten Dinge aus alten Zeiten. Letzlich könne man von ihm allerdings kaum etwas Vernünftiges erfahren, denn alle seine Geschichten seien verrückte, unvollständige Andeutungen über unmögliche Wunder und Schrecken, die nur seiner eigenen wirren Phantasie entsprungen sein könnten. Kein Mensch glaube ihm auch nur ein Wort, aber die Einheimischen sähen es nicht gerne, wenn er trinke und mit Fremden spreche; und man solle sich besser nicht dabei beobachten lassen, daß man ihm Fragen stelle. Wahrscheinlich sei er es gewesen, der einige der abenteuerlichsten Gerüchte und Wahnvorstellungen hier in die Welt gesetzt habe. Mehrere nicht aus Innsmouth gebürtige Einwohner hätten von Zeit zu Zeit über monströse Dinge berichtet, die sie gesehen haben wollten, aber es sei kein Wunder, daß Leute, die zwischen den Geschichten des alten Zadok und den mißgestalteten Einheimischen leben mußten, solchen Sinnestäuschungen erlägen. Von den NichtEinheimischen bleibe keiner jemals bis spät in die Nacht draußen, weil sie es nicht für ratsam hielten. Außerdem seien die Straßen abscheulich dunkel.
Was die Erwerbsquellen angehe, so sei der Fischreichtum tatsächlich fast unheimlich, doch die Einheimischen nutzten ihn immer weniger aus. Überdies sänken die Preise und die Konkurrenz verschärfe sich. Natürlich lebe die Stadt in erster Linie von der Raffinerie, deren kaufmännisches Büro sich auf diesem Platz befinde, von unserem Standort aus nur ein paar Häuser weiter. Den alten Marsh bekomme man nie zu sehen, er lasse sich aber manchmal in einem geschlossenen Wagen mit verhängten Fenstern in die Fabrik fahren.
Es gebe alle möglichen Gerüchte darüber, wie Marsh sich im Aussehen verändert habe. Er sei früher ein großer Dandy gewesen, und die Leute behaupteten, er trage noch immer die Gehröcke aus der Zeit König Edwards, die er dergestalt habe abändern lassen, daß sie ihm trotz gewisser Mißbildungen paßten. Seine Söhne hätten früher das Büro auf dem Platz geleitet, doch in letzter Zeit hätten sie sich immer seltener in der Öffentlichkeit gezeigt und die Hauptarbeit der jüngeren Generation überlassen. Die Söhne und ihre Schwestern hätten im Laufe der Zeit immer absonderlicher ausgesehen, besonders die älteren, und es hieße, sie seien nicht bei bester Gesundheit. Eine der Marsh-Töchter sei eine abstoßende, reptilienhaft aussehende Frau, die sich immer über und über mit Schmuck behänge, der eindeutig von derselben Art sei wie die sonderbare Tiara. Mein Informant hatte diese Juwelen viele Male gesehen und hatte gehört, sie stammten aus irgendeinem geheimen Schatz, entweder von Piraten oder
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