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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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vorhatte. Trotzdem hättest du nie um Hilfe gerufen. Du warst nicht bereit, deiner Angst nachzugeben. Du warst zwar körperlich noch immer stark, doch du hast mich nur mit Worten angegriffen.
    »Ich weiß zwar nicht, wie ihr Vater war«, sagtest du, »aber Christopher ähnelte Ihnen sehr, Alan. Er war gerissener, als ihm guttat. Weder mit Befehlen noch mit Drohungen konnte ich erreichen, dass er das tat, was ich wollte. Seit meiner Kindheit hat sich viel verändert. Ich habe zwei Weltkriege erlebt. Nach großem Blutverlust ist unser Land nicht mehr dasselbe wie zuvor. Wir haben darum gekämpft, die Dinge so zu erhalten, wie sie gewesen waren, doch wir sind zwei Mal in unseren Bemühungen gescheitert. Es wird nie mehr so sein, wie es einmal war, und es sind Männer wie Sie, Alan, die für das stehen, was wir verloren, aber auch für die erbärmlichen Werte, die wir gewonnen haben.«
    Meine Frage stand mir wohl im Gesicht geschrieben.
    »Als ich jung war, kannten Menschen wie Sie ihren Platz. Wenn sie Grips hatten, verbargen sie ihn. Wenn sie unternehmungslustig waren, vergaßen sie es entweder oder sie gingen zu den Soldaten und wurden zum Sergeant befördert.«
    Bei dieser Äußerung musste ich lächeln.
    »Ihr Neffe war auch so. Er kannte seinen Platz nicht.«
    »Wo war denn sein Platz?«, fragte ich.
    »Es stand ihm nicht zu, in meinen Angelegenheiten herumzuschnüffeln.«
    »Den Angelegenheiten einer Respektsperson?«
    »Wenn Sie es so nennen wollen.« Sie hörte sich an, als hätte sie sich immer schon für besser gehalten als Menschen wie Chris und ich. Aber das war schließlich ganz normal.
    »Und dann hat er mich herausgefordert. Er hat mir gerade in die Augen gesehen, wie es sich nur einem Gleichgestellten ziemt, und erklärte mir unverblümt, dass er mich für eine Lügnerin hielt. Das hätte er nicht tun dürfen.«
    »Aber Sie haben gelogen!«
    »Sehen Sie! Auch Sie verlassen jetzt Ihren Platz.«
    Doch ich konnte erkennen, dass sie sich selbst nicht ganz ernst nahm, als sie das sagte. Es war dieser Funke von Selbsterkenntnis, der mir trotz allem eine gewisse Sympathie für Elinor Marlyn abverlangte. Trotz allem, was sie getan hatte.
    Sie hatte nicht mit Besuch gerechnet. Ihr Haar saß lockerer, als sie es normalerweise trug. Ihr Nackenknoten hatte sich gelöst. Einzelne Strähnen waren dem Band entkommen, das es zusammenhielt. Überrascht stellte ich fest, dass ihr Haar recht lockig war. Vermutlich hatte sie es gerade erst gewaschen, denn es glänzte im Licht wie das Fell eines gesunden Tieres. Im Licht. Wieder einmal eine ihrer 100-Watt-Birnen, dachte ich damals.
    »Was geht in Ihnen vor, Alan?«, fragte sie mich. Unsere Hände lagen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt auf dem Tisch. Das grelle Licht schmeichelte ihrem Alter nicht, doch es betonte die präzisen Linien ihrer Gesichtsknochen und die feine Haut, unter der sich blaue Adern abzeichneten.
    Und wenn ich gesagt hätte, ich wäre gekommen, um mit ihr zu schlafen? Was hätte sie dann wohl getan?
    Wahrscheinlich hätte sie laut herausgelacht und mich noch einmal ermahnt, an meine gesellschaftliche Stellung zu denken und mich zu erinnern, wer ich war und dass ich nicht das Recht hätte, eine Frau wie Elinor Marlyn anzusehen, auch wenn sie über zehn Jahre älter war als ich.
    »Ich bin gekommen, um Sie zu töten«, sagte ich. »Auge um Auge.«
    »Sie geben mir die Schuld an Christophers Tod.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Oh ja. Und an Susies zerstörtem Leben.« Ich sah Hohn auf ihrem Gesicht, als ich das sagte.
    »Susan fehlte es an Rückgrat«, sagte sie.
    »Sie hat Sie gesehen.«
    »Ich weiß.«
    »Sie hat gesehen, dass Sie den Lieferwagen lenkten. Nicht Danny Watts. Sicher, er saß hinter dem Lenkrad, aber Sie haben ins Steuer gegriffen und mit dem Wagen direkt auf Christopher zugehalten. Er hatte keine Chance.«
    »Und das alles hat Ihnen unsere liebe kleine, glanzlose Susan erzählt?«
    Ich hütete mich, nach dem Köder zu schnappen. »Die Dose, die Sie ihr geschenkt haben, war eine echte Antiquität. Mit Gold eingelegtes Schildpatt. Ich habe sie gefunden, als ich ihre Sachen packte. Niemand schenkt einem Kind etwas so Wertvolles, es sei denn, er hat einen guten Grund dafür. Ich habe die Geschichte über eine geraume Zeit hinweg in Bruchstücken aus ihr herausgelockt. Sie erzählte mir von den Leuten, die sie gesehen hatte, und wie der Lieferwagen in der Dunkelheit ohne Licht auf sie zuraste. Sie wusste nicht, was der Wagen

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