Schatten über Oxford
vermissen«, gab Kate zurück. »Mein Leben wird ohne Sie längst nicht mehr so farbenfroh sein. Natürlich dürfen Sie mich jederzeit besuchen – einmal quer durch Oxford, und schon sind Sie da.«
»So etwas sagt man zwar immer, aber man tut es dann doch nie«, entgegnete Elspeth.
»Sie haben Ihre Gemeindemitglieder«, stellte Kate fest. »Die halten Sie auf Trab und sind sicher alle sehr nett.«
»Das ist nicht das Gleiche.«
»Außerdem gehe ich davon aus, dass Sie einen heimlichen Liebhaber haben. Das ist sicher auch schön.«
»Was?«
»Als wir zusammen ins Centre for Oxfordshire Studies fuhren, verschwanden Sie für zwei Stunden, ohne zu sagen, wo Sie hinwollten.«
»Mir war nicht klar, dass Sie sich solche Fragen stellen.«
»Und?«
»Ich musste in der Bodleian einen Literaturhinweis überprüfen.«
»Aber nicht zwei Stunden lang. Außerdem hatten Sie ein heiteres Lächeln auf den Lippen, als Sie in die Bibliothek kamen. Auf mich hat die Bodleian nie einen solchen Effekt.«
»Ich war bei der Fußpflege. Sonst nichts. Ich habe schon lange Probleme mit den Füßen.«
»Oh!« Kein Wunder, dass Elspeth damit hinter dem Berg gehalten hatte.
»Sie sehen also, ich werde Sie wirklich vermissen.«
»Bestimmt wird bald jemand anders kommen«, sagte Kate. Manchmal gab es nichts Tröstlicheres, als ein bewährtes Klischee, dachte sie. »Ich habe Ihnen auch Ihre Kassetten zurückgebracht. Sie haben sich schließlich doch noch als ausgesprochen nützlich herausgestellt.«
»Was ist mit der Geschichte dieses kleinen Jungen? Sind Sie da weitergekommen?«
»Alles erfährt man wohl nie. Aber das meiste weiß ich jetzt.«
»Ich dachte schon, Sie hätten vor, eine Kladde voller Beweise zur Polizei zu bringen. Sie machten einen sehr entschlossenen Eindruck, wissen Sie das?«
»Ich wollte nur Antworten auf meine Fragen. Allerdings würde es keinen Sinn machen, jetzt noch damit zur Polizei zu gehen. Der Tod hat den Gesetzeshütern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es gibt nur noch einen Überlebenden der Geschichte, und der ist sehr krank. Länger als einen Monat wird er wohl nicht mehr leben. Es wäre also sinnlos, die alten Skandale noch einmal an die Öffentlichkeit zu zerren.«
»Das hört sich ja ausgesprochen mysteriös an.«
»Nein, ich glaube, es ist einfach nur sehr traurig.«
»Nun, jedenfalls habe ich vor, selbst bald einen Roman zu schreiben. Das wird mich beschäftigen.«
»Wenigstens haben Sie das Gräberverzeichnis. Das hilft Ihnen sicher.« Kate grinste.
»Oh ja! Ich werde es aufmerksam durchlesen«, feixte Elspeth.
»Leider muss ich jetzt gehen. Ich habe nämlich noch nicht gepackt.«
»Auf Wiedersehen, Kate.«
»Hallo, Estelle.«
»Ja bitte?«
»Ich bin es. Kate.« Am anderen Ende der Leitung herrschte verblüfftes Schweigen. »Kate Ivory«, erklärte Kate.
»Ach so! Kate! Gut.«
»Ich rufe eigentlich nur an, um Ihnen Bericht zu erstatten. Sie wollten doch wissen, wie es mit meinem neuen Buch vorangeht.«
»Hervorragend!«
»Nun, ich hatte ja bereits angedeutet, dass ich die Story im Zweiten Weltkrieg ansiedeln möchte. Die Heldin ist eine junge Frau von etwa zweiundzwanzig Jahren, die eine ausgesprochen behütete Jugend hatte. Ihr Vater ist Pfarrer.« Einen Moment lang hatte Kate den Eindruck, dass Estelle etwas sagen wollte, doch ihre Agentin schwieg.
»Estelle?«
»Ja, Süße. Ich höre Ihnen zu.«
»Als sie einberufen wird – junge, unverheiratete Frauen wurden damals nämlich einberufen –, nimmt sie eine Stelle an, in der sie für die Unterbringung von Evakuierten zuständig ist. Eines Tages trifft sie einen jungen, schneidigen Marineoffizier …«
»Ja, Süße?«
»Was halten Sie davon?«
Am anderen Ende der Leitung erklang ein Geräusch, das sich verdächtig nach einem Gähnen anhörte.
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