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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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auf seiner Seite. Er tadelte La Mettrie.
Sehr gut.
    Der Franzose
schüttelte den Kopf. »Es sind meine Gedanken, Eure Majestät. Wir haben darüber
gesprochen: Das Glück ist das höchste Gut, aber die Folge daraus ist – wie ich
in dieser Schrift darlegen möchte – nicht etwa Unmoral, sondern ganz im
Gegenteil Verantwortungsbewusstsein. Nur glückliche Menschen sind Menschen, die
sich ein klares Urteil darüber bilden können, was richtig und was falsch ist.
Wer unter dem Druck einer fremden Gewalt Entscheidungen treffen muss, ist nicht
nur unglücklich, sondern auch unfrei. Und so wird seine Entscheidung ohnehin
nie die richtige sein, sondern eine, die lediglich die Qual seines Jochs
verringert. Und daher –«
    »Danke, Monsieur«,
sagte der König und machte eine abwehrende Handbewegung über das glänzende
Geschirr hinweg. »Das reicht.« Noch immer hielt er Quantz im Blick. »Was sagen
Sie nun dazu, Herr Kammermusiker? Haben Sie ein Gegenargument?«
    Quantz versuchte zu
rekapitulieren, was La Mettrie gesagt hatte. Der Wortschwall war an ihm
abgeprallt. Worum war es da gegangen? Verantwortung? Entscheidungen? Das waren
Vokabeln, die in den Manuskripten nicht vorgekommen waren. Und was hatte das
nun mit dem Glück zu tun? Ihm schwirrte der Kopf. »Aber es ist unmoralisch,
wenn die Menschen tun und lassen können, was ihnen beliebt«, rief er.
    »Ich habe gar nicht
geschrieben, dass die Menschen tun und lassen können, was ihnen beliebt«, sagte
La Mettrie. »Und ich muss Ihnen sagen, mein Herr, was Sie dort in den Händen
halten, ist kein fertiges Werk, sondern ein Entwurf. Ich bin Ihnen keine
Rechenschaft schuldig, aber ich erkläre es Ihnen gern: Seine Majestät hat mich
an den Hof geholt, um mit ihm zu philosophieren. Welchen Sinn hätte es, wenn
ich meinen Gedanken, die ich ja zum Philosophieren brauche, nicht freien Lauf
lassen dürfte? Das wäre ja, als würde ich Ihnen vorschreiben, welche Noten Sie
zu Hause zu Papier bringen.«
    »Haben Sie das
verstanden, Herr Quantz?«, fragte der König, immer noch die Ruhe selbst.
    »Aber Eure Majestät!
Es ist nicht das einzige Schändliche, was in diesen Schriften steckt. Schauen
Sie. Monsieur La Mettrie und Monsieur d’Argens arbeiten gemeinsam an einem
Roman über die Notzucht an einem jungen Mädchen durch einen Priester, die auch
noch in aller Ausführlichkeit geschildert wird. Eine schändliche und äußerst
schmutzige Geschichte –«
    »Die in keinem Teil
erfunden ist, sondern auf Wahrheit beruht«, meldete sich jetzt d’Argens zu
Wort. »Eure Majestät, bitte beenden Sie dieses Possenspiel. Herr Quantz muss
entweder verrückt oder betrunken sein, oder auch beides. Wie kann er hier
einfach hereinplatzen und uns, Ihre Gäste, so beleidigen? Er beleidigt damit
auch Sie!«
    Der König verzog den
Mund zu einem matten Lächeln. »Vielleicht handelt er nur nach dem, was Monsieur
La Mettrie in seinem Buch propagiert: Er sucht sein Glück. Andere zu diffamieren
sorgt bei ihm vielleicht für Wohlbefinden. Ich wundere mich selbst darüber.
Herr Quantz verhält sich in letzter Zeit sehr merkwürdig, das muss ich schon
sagen.«
    »Eure Majestät«,
rief Quantz. »Ich wollte Ihnen ein guter Diener sein und Ihnen zeigen, dass an
Ihrem Hof etwas vorgeht, dass Eure eigenen Maßstäbe untergräbt.«
    »Was wissen Sie von
meinen Maßstäben, Herr Quantz?«
    »Aber schauen Sie
doch dieses Buch an –«
    »Majestät, darf ich
noch etwas sagen?«, rief d’Argens dazwischen. »Meine Absichten bei diesem Roman
dienen dazu, die Niedertracht und die doppelbödige Moral der Kirche zu
entlarven. Welches Blendwerk treiben diese katholischen Pfaffen mit ihrer
Heiligenverehrung, mit den Reliquien? Und es ist geradezu grotesk, dass es
diesem angeblichen Priester gelungen ist, ein junges Mädchen zu verführen,
indem er ihm klarmachte, sein Geschlechtsteil sei der Strick des heiligen
Franziskus.«
    »Sie behaupten nur,
die Geschichte sei wahr«, sagte Quantz, »dabei ist sie doch Ihrer Phantasie
entsprungen, die man nicht anders als –«
    »Passen Sie auf, was
Sie sagen, Herr Kammermusiker«, fuhr d’Argens auf. »Diese Geschichte ist ganz
und gar nicht erfunden, sondern beruht auf Tatsachen. Sie ereignete sich vor
gut zehn Jahren in Frankreich. Der Verführer war der Jesuitenpater Jean-Baptiste
Girard, das Opfer das Mädchen Marie-Catherine Cadière. Ganz Europa hat über
diesen Fall in den Zeitungen gelesen, außer Ihnen offenbar. Aber Sie sehen, es
geht mir nur um Kritik an

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