Schatten über Sanssouci
der Kirche.«
»Sie werden das
Ganze aber doch auch von der lächerlichen Seite aus betrachtet haben?«, fragte
der König. »Ich meine, die Komik kommt doch in dem Buche nicht zu kurz? Und ein
wenig Voyeurismus ist auch dabei? Habe ich recht?«
»Deshalb gab ich den
Text Monsieur La Mettrie zu lesen. Komik zu erzeugen ist eine schwere Sache.
Oft zünden die Effekte nicht, und so braucht es einen klugen Geist, der die
Geschichte gegenliest.«
»Und ich hoffe, Sie
sparen auch nicht mit erotischer Delikatesse, mein Freund?«
D’Argens lächelte.
»Aber nein, nicht im Geringsten. Schließlich dient ein Roman nicht nur der
Erkenntnis und der Erbauung, sondern auch der Unterhaltung.«
Quantz fühlte sich,
als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, als hinge er hilflos in
der Luft. Der König gab einem der an den Wänden bereitstehenden Lakaien einen
Wink und erhob sich. Sofort stand auch die ganze Tischgesellschaft auf.
»Nehmen wir den
Kaffee«, sagte Friedrich, immer noch erstaunlich ruhig und ohne Quantz eines
Blickes zu würdigen. »Es ist angerichtet.«
Die Gäste verließen
den Raum in Richtung der königlichen Gemächer. Quantz wusste nicht, was er tun
sollte.
»Darf ich mich zurückziehen,
Majestät?«, fragte er.
Der König sah zu ihm
auf. »Zurückziehen? Mein lieber Quantz, nach dem, was Sie sich hier geleistet
haben, könnten Sie sich in eine Festung zurückziehen, für mindestens zehn
Jahre. Aber Sie kommen erst mal mit.«
Der Monarch schritt
voraus. Es ging durch das schmale Audienzzimmer in das Musikzimmer, wo sich die
Gäste versammelt hatten und stehend den Kaffee einnahmen. Quantz blickte sich
in der Runde um. Man ignorierte ihn und plauderte, die Tassen in der Hand.
Der dicke Herr von
Pöllnitz war vor dem Hammerflügel stehen geblieben. Die Kaffeetasse in der
Rechten, öffnete er mit der Linken die Klappe über der Tastatur und versuchte,
mit seinen Wurstfingern eine Melodie zu spielen. La Mettrie betrachtete die
Wandgemälde, während Algarotti unverhohlen in den Noten blätterte, die auf dem
Pult lagen.
Der König nutzte den
Ort des allabendlichen Konzerts, um mit den Gästen Kaffee zu trinken!
Das hatte Quantz
nicht gewusst. Es war wie eine Befleckung. Bisher hatte er immer gedacht, die
Musik gelte dem König mehr als anderen Herrschern, sie sei etwas Privates,
etwas Intimes, und so sei auch dieser Raum genau diesem Privaten und Intimen
vorbehalten.
»Brauchen Sie eine
Einladung auf Büttenpapier?«, zischte der König. Er hatte sich zu Quantz umgedreht,
der aus seiner Erstarrung erwachte. Es ging weiter in das Arbeitszimmer. Ein
Lakai schloss die Tür. Das Gemurmel der Gäste nebenan wurde leiser. Quantz war
mit dem König allein.
»Schauen Sie mich
an«, sagte er.
Quantz gehorchte.
»Und jetzt hauchen
Sie.«
»Was? Ich meine, wie
bitte –?«
»Hauchen. Mir ins
Gesicht. Machen Sie schon.«
Quantz atmete eine
Handbreit vom König entfernt aus, der daraufhin den Kopf schüttelte.
»Schade«, sagte er
und setzte sich an seinen Schreibtisch. »Sehr schade, Quantz. Ich hatte noch
die Hoffnung, Sie seien besoffen. Aber das ist wohl nicht der Fall. Sie haben
bei völlig klarem Verstand Kammerherren verleumdet und mich vor meinen Gästen
blamiert.«
»Es ist alles ein
schrecklicher Irrtum, Majestät.«
»Ein Irrtum? Von
Ihnen? Den Eindruck hatte ich nicht.« Friedrich stand wieder auf, offenbar von
innerer Unruhe getrieben. »Welcher Teufel hat Sie nur geritten? Sich
einzumischen, was meine Kammerherren für einen Schund schreiben! Kennen Sie
mich denn so schlecht? Sie müssten doch wissen, dass in meinem Staat jeder nach
seiner Fasson leben kann. Was interessiert es mich, ob La Mettrie an eine Seele
glaubt? An ein ewiges Leben? Ob er die Religion respektiert? Haben Sie mich
jemals beim Gottesdienst gesehen? Ich meine, seit ich den Fängen meines
frömmelnden Vaters entkommen bin, als er für immer die Augen schloss? Da sehen
Sie doch, dass La Mettrie recht hat: Unter Zwang fällt man falsche Urteile. Ich
bin erst der geworden, der ich bin, als mein Vater gestorben war, als ich frei
und selbstständig entscheiden konnte –«
In Quantz’ Gedanken
drängte sich etwas, das er ebenfalls in dem Manuskript gelesen hatte. Die Idee,
dass die frühe Kindheit eine Rolle spielte. Dass Menschen geprägt wurden.
Irgendwie passte das nicht zu der Rede, die der König hier führte, aber Quantz
war weit entfernt, den Mund aufzumachen und einen neuen Disput zu beginnen. Es
würde
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