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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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Pöllnitz, gleich daneben Graf von
Algarotti. Der Italiener, ein begeisterter Operndichter, war ebenfalls gerade
zum Kammerherrn ernannt worden und hatte auch noch den Orden »Pour le Merite«
erhalten.
    In der Mitte der
Tafel erkannte Quantz den König, der in seinem Uniformrock eher nüchtern
wirkte. Er saß stocksteif da und betrachtete ihn abschätzig.
    »Es ist keine Musik
befohlen, Herr Quantz. Aber will Er uns zum Dessert ein wenig aufspielen?« Der
König blickte in die Runde. »Wenn es den Herren genehm ist, könnte ich Herrn
Quantz eine kleine Sonate zum Besten geben lassen. Freilich ist unser Clavirist,
Herr Bach, nicht zu gegen. Doch es wäre ein Leichtes, ihn holen zu lassen …«
    Hinter Quantz fiel
die Tür ins Schloss. In seinem Kopf erstarb das letzte Echo der Musik, die in
ihm gewesen war. Zurück blieben ein seltsames Summen und ein plötzliches Gefühl
der Schwäche. Die Stimme des Königs hatte die drangvolle Begeisterung, der er eben
noch verfallen gewesen war, hinweggewischt.
    Nur ruhig. Er war
auf der richtigen Seite. Sag, was du zu sagen hast .
»Eure Majestät, ich bin nicht der Musik wegen hier.«
    Der König zog die
Augenbrauen hoch. »Nicht? Weshalb dann?«
    Die Gäste schwiegen.
Augenbrauen hoben sich. War das Skepsis oder Belustigung?
    »Ich habe etwas
vorzubringen«, sagte Quantz und ärgerte sich, kaum dass die Worte ausgesprochen
waren, darüber, dass seine Stimme nun wieder verhalten und schüchtern, fast
ängstlich klang. In dieser Situation war das ganz falsch. Der König schätzte
entschlossene Menschen.
    Friedrich lehnte
sich in seinem Stuhl zurück. »Aber sehen Sie, Herr Quantz, ich habe gerade
Gäste. Hat das denn nicht Zeit bis morgen?«
    »Ihre Gäste können
es hören«, sagte Quantz etwas lauter und beherzter. Doch er fühlte sich nicht
so. Der Blick des Königs traf ihn wie ein Pfeil. Mit jeder Sekunde nahm die
Ernüchterung zu, und ein entsetzlicher Gedanke tauchte aus dem sinkenden Pegel
seiner vorhin noch so großartigen Empfindungen auf. Er hatte einen furchtbaren
Affront begangen: Er hatte den König bei seiner Tafelrunde gestört.
    Nur Mut. Jetzt kam
es darauf an, seine Sache vorzubringen. Friedrich war kein König, der an großem
Zeremoniell hing. Wenn es die Sache erforderte, durfte man auch einmal Regeln
brechen. Man musste es sogar.
    »Man hat mir
gemeldet, Sie hätten eine Verschwörung aufgedeckt?«, sagte der König.
    Quantz hielt die
Mappe mit den Manuskripten hoch. »In diesen Schriften steckt die Verschwörung«,
rief er. »Es sind Abhandlungen von ungeheurer Tragweite. Und ein Roman, der an
Unmoral nicht zu überbieten ist.«
    »Schriften?«, fragte
der König. »Was für Schriften?«
    »Die Abhandlung
stammt von Monsieur La Mettrie und der Roman von Monsieur d’Argens.«
    Das Lächeln auf den
Gesichtern der beiden Erwähnten erstarb, dafür wirkten die anderen Gäste
durchaus belustigter – insbesondere Herr von Pöllnitz. Er lachte lautlos in seine
Serviette, sodass sein Doppelkinn wackelte. Quantz ließ sich nicht beirren.
    »Herr La Mettrie
streitet in dieser Schrift ab, dass es Gut und Böse gibt. Er stellt das Glück
des Einzelnen als höchste moralische Instanz hin, und er glaubt nicht an die
unsterbliche Seele …« Es fiel ihm schwer, die Zitate, die ihn in seinem
Studierzimmer so empörend vorgekommen waren, nun auswendig wiederzugeben. Er
war in der Kunst des philosophischen Disputs nicht geübt. Und ihm schwante,
dass die Worte, die er hier vorbrachte, bei Weitem nicht die Schlagkraft
besaßen wie die in der Schrift selbst. Deshalb öffnete er die Mappe, holte die
Papierbögen heraus und begann darin herumzublättern.
    »Er schreibt von …«,
es dauerte eine Weile, bis Quantz die Stelle gefunden hatte, »… von
Selbstvorwürfen, vom schlechten Gewissen … und er streitet es ab. Ach
nein, er schreibt …«, er hatte die Stelle gefunden, »… dass Schuldgefühle
überflüssig sind.«
    Er atmete tief durch
und sah den König an. Der reagierte ganz anders, als Quantz es erwartet hatte.
Weder empört, geschweige denn böse. Er reagierte überhaupt nicht. Er sah Quantz
an und sagte, ohne ihn aus den Augen zu lassen: »Monsieur La Mettrie, was sagen
Sie dazu? Haben Sie das geschrieben?«
    »Majestät«, sagte
der Franzose, »ich frage mich, auf welchen Wegen der Herr Kammermusiker an das
Manuskript gekommen ist.«
    »Bitte beantworten
Sie meine Frage. Das andere klären wir später.«
    Erleichterung
durchströmte Quantz. Der König war

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