Schatten über Sanssouci
wegfuhr?
Kilian war noch in
seine Gedanken verstrickt, als Quantz aus dem Wachhaus trat und wieder in das
Coupé stieg. Ihm folgten die beiden Offiziere. Soldaten traten an das Tor und
öffneten es.
Der Kutscher
schnalzte mit der Peitsche, und die Pferde zogen das Gefährt aus der Stadt
hinaus. Vier Soldaten begleiteten es. Kaum waren sie in der Dunkelheit auf der
anderen Seite verschwunden, wurde das Tor wieder geschlossen. Kilian drückte
sich an die Hauswand. Er wartete eine Weile. Dann verschwand er im Dunkel der
Straße.
18
Quantz
fühlte sich großartig. Selbstverständlich war es ihm gelungen, Sophie von der
Wichtigkeit seines Auftrags zu überzeugen. Und dann hatte er es sogar
geschafft, nicht vor den Uniformträgern zu kuschen, sondern sie mit seiner
unnachgiebigen Autorität in die Knie zu zwingen. Es war alles nur so aus ihm
herausgeflossen. Natürlich rhetorisch geschickt, ohne diesen tumben Grenadieren
zu verraten, worum es eigentlich ging.
»Seine Majestät muss
umgehend über eine Verschwörung informiert werden. Mir sind Papiere in die
Hände gefallen, die ich ihm vorlegen muss. Machen Sie den Weg frei. Ich bin ein
Vertrauter des Königs und werde Sie persönlich verantwortlich machen, wenn Seine
Majestät diese wichtige Information zu spät erhält …« Die Argumente flogen wie
Kanonenkugeln, stachen wie Degenstiche. Verschwörung, Papiere, Gefahr!
Das waren die
Wörter, auf die Offiziere mit erhöhter Aufmerksamkeit reagierten.
Und endlich ging es
zum Tor hinaus, die Straße zum Schloss entlang. Leider sehr langsam, denn die
Soldaten mussten zu Fuß neben der Kutsche gehen und leuchten.
Während sie Kurve um
Kurve den Berg hinauf nahmen, tönte in Quantz’ Kopf wieder sein Konzert »Pour
Potsdam«, und so ganz nebenbei kam ihm plötzlich ein Thema für den letzten Satz
in den Sinn. Ein ausgelassenes Rondo in drängendem Dreiertakt, geboren aus dem
Gefühl der Ungeduld, das ihn erfasst hatte. Es schnurrte in seinem Kopf nur so
dahin. Quantz war ganz gebannt von dem Gequirle der Soloflöte, als sie die
Rampe erreichten, die hinauf zum Ehrenhof führte.
Siegessicher packte
er die Mappe mit den Papieren, sprang aus der Kutsche und trat auf den
erstbesten Grenadier zu, der sich ihm in den Weg stellte. »Ich muss zum König.
Sofort.« Wie fest seine Stimme klang! Wie gut es sich anfühlte, Autorität zu
besitzen.
»Aber –«
»Kennen Sie mich?
Ich bin Quantz, der Kammermusiker Seiner Majestät.«
Einer der älteren
Lakaien kam aus der Eingangstür gelaufen. Im Schloss brannte Licht. »Herr
Quantz. Jetzt ist keine Musik befohlen …«
»Das weiß ich. Ich
muss hinein. Es ist von außergewöhnlicher Dringlichkeit.«
»Seine Majestät ist
zu Tisch. Er hat Gäste. Und er will keine Musik.«
Quantz packte den
Mann am Arm. »Es geht nicht um die verdammte Musik. Ich kann nicht warten,
versteh Er doch. Preußen steht auf dem Spiel. Die Feinde liegen vor den Toren.
Und vielleicht sind sie schon im Inneren der Stadt.«
Selbst im Licht der
Lampen konnte Quantz erkennen, dass der Lakai blass wurde. »Aber es ist keine
Musik befohlen …«, wiederholte er. Er war älter als Quantz, sicher sechzig
Jahre alt.
Quantz hob die Mappe
hoch. »Das hier sind Dokumente einer Staatsverschwörung. Nun melde Er mich dem
König und lass Er mich vor. Es geht um Minuten.«
Der Lakai drehte
sich um und verschwand im Schloss.
Schweiß rann Quantz
über das Gesicht, sein Herz schlug heftig. In seinem Kopf begann wieder die
Musik, und einen Moment lang hatte er das Gefühl, der wirbelnde Dreiertakt, den
er für das Finale des Konzerts in Gang gesetzt hatte, könnte ihn aus dem
Gleichgewicht bringen. Er atmete schwer und blieb standhaft zwischen den
schweigenden Grenadieren stehen, die ihn ansahen wie ein seltsames fremdes
Tier.
Endlich kam der
Lakai wieder heraus, sah Quantz hochnäsig an und sagte: »Seine Majestät lässt
bitten. Seine Majestät ist sehr gespannt.«
Quantz’ Beine
schienen sich von selbst in Bewegung zu setzen. Er schob den alten Mann zur
Seite und betrat das Vestibül, der offen stehenden Tür zum Marmorsaal entgegen.
Dahinter glänzte helles Kerzenlicht. Quantz ging hinein, und vor ihm erschien
eine bunte, festlich gedeckte Tafel – umgeben von vielen bekannten Gesichtern,
die ihm entgegenstarrten.
D’Argens und La
Mettrie waren da mit Spott und Hohn in den Mienen. Umso besser. Das Grinsen
würde ihnen gleich vergehen.
Im weiteren Rund des
Tisches saßen Graf Rothenburg, Herr von
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