Schatten über Sanssouci
wurde anstandslos durchgelassen, und kurz
darauf hielten sie vor Quantz’ Haus.
Todmüde stand Quantz
vor seiner Tür und schaute Brede nach, der mit der Kutsche den dunklen Kanal
hinabzuckelte. Er wollte gerade die Stufen hinaufgehen, da kam eine Gestalt aus
dem Dunkel auf ihn zu.
Quantz zuckte vor
Schreck zusammen.
»Guten Abend, Monsieur.
Ich hoffe, Sie haben Ihren Opiumrausch überwunden? Dafür schulden Sie mir was.
Das Zeug ist nicht ganz billig.«
Er erkannte La
Mettries zwergenhafte Gestalt – der schmächtige Körper, auf dem der kugelrunde
Kopf saß. »Wir sollten uns unterhalten, finden Sie nicht?«
»Ich wüsste nicht,
worüber.«
»Na, zumindest ist
ja eine Entschuldigung fällig. Oder ist es Ihnen lieber, sich mit mir zu
duellieren? Vielleicht morgen auf dem Bornstedter Feld? Wir müssen allerdings
früh hingehen. Wie Sie wissen, schätzt Seine Majestät es nicht, wenn sich seine
Untertanen gegenseitig umbringen. Außer es handelt sich um Soldaten, die für
ein paar Minuten bei der Wache der Schlaf übermannt hat. Die werden dann
totgepeitscht.« La Mettrie gab sein Lachen von sich. Es erzeugte in Quantz eine
Gänsehaut.
»Sie können mir
nichts vormachen, La Mettrie«, rief er. »Ich weiß, dass Sie ein Gegner unseres
Königs sind und seine Autorität untergraben. Ich habe Sie durchschaut. Seine
Majestät vertraut Ihnen noch, aber nicht mehr lange. Darauf gebe ich Ihnen mein
Wort.«
»Finden Sie, dass
der König ein Mensch ist?«
»Was? Lassen Sie
mich in Ruhe.«
»Ich frage Sie noch
einmal –«
»So ein Unsinn.«
Der Franzose griff
Quantz, der sich dem Eingang zuwenden wollte, am Arm. »Wenn der König ein
Mensch ist – und das ist er zweifellos –, so macht er Fehler. Deshalb braucht
er andere Menschen um sich herum, die ihn beraten. Die Stärke der
Entscheidungen des Königs steht und fällt mit der Qualität seiner Berater.
Viele sind bestrebt, dem König ein bestimmtes Bild vorzugaukeln, um ihn zu
gewissen Entscheidungen zu treiben. Und Sie, mein lieber Herr Quantz, sind
irgendwie zwischen diese Fronten geraten.«
Quantz machte sich
los. »Ich bin nicht Ihr lieber …«
»Und eigentlich
haben Sie recht, wenn Sie sich nicht bei mir entschuldigen wollen«, fuhr der
Franzose fort, der jetzt sehr ernsthaft wirkte. »Ich entschuldige mich bei
Ihnen. Es ist auch meine Schuld, dass Sie in diese Lage gekommen sind.«
Quantz dachte, er
hätte sich verhört. »Tatsächlich?«, fragte er überrascht. »Sie geben also zu,
in eine Verschwörung gegen den König verwickelt zu sein? Und dass Sie etwas mit
dem Tod von Andreas zu tun haben? Dass Sie mir eine Beteiligung daran in die
Schuhe schieben wollten? Hat es mit der seltsamen Versammlung der Musiker zu
tun, die Sie angezettelt haben?«
»Schweigen Sie«,
zischte La Mettrie. »Das sollten wir nicht auf der Straße besprechen.«
»Sie brauchen nur Ja
oder Nein zu sagen.«
»Seit wann sind
wichtige Fragen in dieser Welt so einfach zu beantworten?«
»Sind sie es nicht?«
»Um eine Ausnahme
von dem zu machen, was ich jetzt sage, und um Sie vor ein kleines Paradoxon zu
stellen: Nein. Die meisten Fragen bedürfen eingehender Erläuterungen. Und ich
gebe gar nichts zu. Aber ich kann Ihnen helfen, mehr herauszufinden.«
»Helfen? Sie?
Warum?«
La Mettrie hob die
Hände. »Ich bin ein Freund von Rätseln. Wie jeder Philosoph. Sie ziehen mich
magisch an, ohne dass ich freilich an Magie glaube. Wenn jemand ein Rätsel zu
lösen hat und ihm dabei niemand hilft, dann ist es mir eine Ehre, all meine
Kraft zur Verfügung zu stellen.«
»Wen meinen Sie
damit? Etwa mich?« Quantz lachte, aber er spürte selbst, dass es ein freudloses
Lachen war. »Woher wissen Sie denn, welche Freunde ich habe und wem ich mich
anvertrauen kann? Sie glauben doch nicht im Ernst, Monsieur, dass ich auf Sie
angewiesen bin.«
»Ich glaube es
nicht, ich weiß es. Und genauso weiß ich, dass allein Ihr Stolz Sie meine Hilfe
ablehnen lässt. Doch sollten Sie nicht auf Ihren Stolz hören, sondern auf Ihre
Vernunft.«
»Nun hören Sie mal
zu, Monsieur. Ich soll mir von Ihnen helfen lassen? Wo Sie mich vorhin vor dem
König lächerlich gemacht haben?«
»Ich weiß nicht,
wovon Sie reden. Ich habe niemanden lächerlich gemacht. Jedenfalls nicht heute
Abend. Sehr wohl aber musste ich einen Affront gegen den König selbst erleben,
und zwar durch Sie. Und dazu einen Affront gegen mich und meinen Freund d’Argens.
Wenn Sie jemand lächerlich gemacht hat, dann nur Sie
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