Schatten über Sanssouci
ihm ja sowieso nichts mehr nutzen.
»Aber was rede ich
da?«, fuhr der König fort. »Was geht Sie das überhaupt an? Sprechen wir einmal
von Ihnen. Was reitet Sie, dass Sie hinter jeder Ecke Feinde vermuten? Werden
Sie alt, Quantz? Sicher, Sie sind über fünfzig. Es tut mir weh, auf einen so
fähigen Flötenmeister und Kammermusikus verzichten zu müssen, aber ich denke,
es bleibt mir nichts anderes übrig. Und wenn Sie beginnen, den Verstand zu
verlieren, erst recht.«
»Majestät«, sagte
Quantz. »Bei allem Respekt …«
»Sehen Sie eine
andere Möglichkeit? Versetzen Sie sich in meine Lage.« Der König trat zur Tür.
»Warten Sie einen Moment.«
Er verließ den Raum
und ging nach nebenan zu den Gästen. Quantz stand mitten im Allerheiligsten des
Königs. In Friedrichs Arbeitszimmer. Allein. Im Aktenschrank neben dem
Schreibtisch lagen sicher wichtige, auch geheime Akten. Es war kein Lakai
zugegen, der Quantz daran hätte hindern können, etwas an sich zu nehmen. Das
konnte doch nur bedeuten, dass Seine Majestät noch Vertrauen zu ihm hatte.
Doch wie ein Stich
traf Quantz die Erkenntnis, dass es genau andersherum war: Man würde ihn gleich
von hier aus in ein Gefängnis bringen, nach Spandau oder sonst wohin. Man würde
ihn durchsuchen, man würde ihm andere Kleidung geben. Man würde merken, wenn er
etwas hatte mitgehen lassen. Und wenn er auch nur in einer geheimen Akte lesen
würde – er hatte keine Gelegenheit mehr, irgendjemandem zu berichten, was darin
stand.
Nebenan
verabschiedete der König die Gäste. Schritte entfernten sich zum Marmorsaal und
zum Vestibül hin. Schließlich kam Friedrich zurück. »Nun …«, sagte er
nachdenklich. »Was soll ich Ihrer Ansicht nach mit Ihnen anstellen?«
»Bitte sorgen Sie
dafür, dass es Sophie gut geht. Und meiner Frau natürlich.«
Der König sah ihn
überrascht an. »Was? Wie meinen Sie das? Geht es den Damen schlecht?«
»Ich meine später.
Wenn ich im Kerker bin.«
Friedrich setzte
sich wieder. »Mein lieber Quantz, ich muss Ihnen etwas erklären. Es ist
seltsam, dass Sie immer wieder ins Spiel kommen, wenn es um die Nachforschungen
zum Tod dieses Lakaien geht. Oder bei der Aufklärung der Frage, wie es manchen
meiner Soldaten gelingt, aus dieser doch so gut gesicherten Stadt zu
desertieren. Doch Sie wissen genau, dass ich größten Wert darauf lege, die
Ergebnisse dieser Untersuchung nicht einfach zu befehlen, sondern akkurat
erarbeiten zu lassen. Welche Rolle Sie dabei spielen, will ich also bewiesen
haben. Diesen Auftritt heute Abend laste ich Ihnen selbstverständlich an. Aber
Sie haben sich selbst so lächerlich gemacht, dass dies wohl Strafe genug ist.
Der Rest ist Kredit auf die Zeiten, in denen Sie mir treu waren und mir mit der
Musik ein großes Geschenk machten. Ich werde Sie also nicht in den Kerker
schicken. Ich bin hier Privatmann, nicht König. Verstehen Sie? Allerdings werde
ich nicht zögern, Sie einzusperren, wenn ich den Beweis erhalte, dass eine
Kerkerhaft wirklich angemessen wäre.«
Quantz hatte das
Gefühl, ein schweres Gewicht werde von seiner Brust genommen. Trotzdem wusste
er nicht, ob er innerlich jubeln sollte. »Die Zeiten, Majestät, in denen ich
Ihnen treu war … Sie sind doch nicht vorbei. Bitte verstehen Sie doch. Ich
habe heute Abend nur versucht, einen Beweis eben dieser Treue zu liefern.«
»Ein merkwürdiger
Treuebeweis«, sagte der König kühl. »Ich befehle, von dem Vorfall zu schweigen
und sich in Zukunft solcher Ungeschicklichkeiten zu enthalten. Und ich sage es
Ihnen ausdrücklich auch gern noch einmal: Meine Beamten untersuchen, welche
Rolle Sie in den genannten Verbrechen spielen. Und ich zögere nicht, die
härtesten Konsequenzen zu ziehen, sollte Ihre Schuld erwiesen werden. Draußen
wartet Rat Weyhe, der etwas zu spät von Ihrer Eskapade erfahren hat. Eine
Eskapade, der ich zu verdanken habe, dass meine Nachtruhe heute sehr kurz sein
wird, denn ich werde mich nun mit ihm beraten müssen. Ihnen wünsche ich einstweilen
eine gute Nacht. Ich hoffe für Sie, dass sie besser wird als die meinige. Gehen
Sie!«
Quantz wäre am
liebsten zu Boden gestürzt und hätte dem König noch tausendmal gedankt und sich
entschuldigt. Doch er gehorchte, folgte der Zimmerflucht zum Vestibül, wo Weyhe
wartete. Er hastete an ihm vorbei und trat auf den Vorplatz. Da stand immer
noch die Kutsche von Brede. Quantz stieg ein und gab den Befehl, nach Hause zu
fahren.
Die Soldaten am Tor
waren unterrichtet. Die Kutsche
Weitere Kostenlose Bücher