Schatten über Sanssouci
gezeigt. Ich wusste nichts damit anzufangen. Und so habe ich ihm geraten,
dass er damit zu Ihnen geht. Er war so stolz darauf, wissen Sie.«
»Die Noten ergeben
keinen Sinn. Es hat Andreas Freude gemacht, sie hinzuschreiben, das ist alles.«
Quantz nahm auf dem zweiten Sessel neben dem kleinen Tisch Platz, wo Sophie
bereits den Kaffee serviert hatte. Er goss sich eine Tasse ein.
»Das würde ich nicht
so sehen«, sagte der Franzose. »Es sieht mir doch alles sehr regelmäßig und
klar aus und scheint einem verborgenen Sinn zu folgen.«
»Unsinn«,
widersprach Quantz. Er war es nicht gewohnt, um diese Zeit Gäste zu empfangen.
Und La Mettries Nähe war ihm unangenehm. Dieser Zwang, den Gedanken des
Philosophen folgen zu müssen, machte ihn reizbar.
»Sie meinen
vielleicht, die Noten ergeben keinen musikalischen Sinn«, sagte La Mettrie.
»Welchen Sinn sollen
denn Noten Ihrer Meinung nach sonst ergeben?«, brummte Quantz ungehalten. »Da
Andreas nun mal tot ist, werden wir ihn nicht mehr danach fragen können. Er
hätte es uns ohnehin nicht gesagt, denn er sprach nicht.«
»Ist Ihnen schon mal
der Gedanke gekommen, Andreas könnte getötet worden sein, weil er im Besitz
eines Geheimnisses war?«
Quantz stellte die
Tasse ab. Der Druck in seinem Kopf wurde zu einem stechenden Schmerz, der im
Rhythmus seines Herzschlags pochte. »Monsieur La Mettrie, ich möchte nicht
unhöflich sein, aber bitte verschonen Sie mich damit. Ich habe mir schon so
viele Gedanken darüber gemacht, was sich hinter dem seltsamen Tod von Andreas
verbergen könnte. Ich möchte nicht mehr darüber reden. Ich nehme Ihre Hilfe an,
wenn Sie sie mir immer noch anbieten. Sie sind ein schlagfertiger Mensch. Sie
denken viel und schnell. Sie können sich vorstellen, in welcher Lage ich mich
befinde – vor allem hinsichtlich meiner Reputation bei Hofe. Wenn Sie mir
helfen wollen, dann tun Sie es bitte bald. Reden Sie mit dem König. Sie haben
doch Einfluss auf ihn. Ich bin an dieser Geschichte nicht schuld. Weder habe
ich Andreas dazu animiert, Kompositionen Seiner Majestät zu stehlen, noch habe
ich ihn umgebracht. Ich leide daran, dass meine Erfindungskraft, die ich für
neue Werke brauche, im Moment etwas geschwächt ist, aber das ist alles.« Quantz
atmete tief durch. Die lange Rede hatte ihn Anstrengung gekostet.
La Mettrie nickte
beifällig. »Donnerwetter, mein lieber Maître de Musique, das war gut
gesprochen. So ehrlich und aus dem Herzen. Und aus dem Verstand dazu.
Wunderbar.«
»Sie sollen mich
nicht veralbern.«
»Aber Monsieur!
Nichts läge mir ferner. Ich meine das ernst.«
»Werden Sie mit dem
König sprechen?«
»Wenn ich ein
Argument für Ihre Unschuld habe, natürlich.«
»Wie meinen Sie
das?«
»Wenn ich selbst
mehr über den Fall weiß.«
»Hat Ihnen Seine
Majestät den Auftrag erteilt, mir nachzuspionieren?«
»Das ist nicht
nötig. Wie Sie gesehen haben, bin ich ein Mensch, der selbst denken kann und
aus eigenem Antrieb Interesse für bestimmte Fragen des Lebens aufbringt. Und
entsprechend handelt.«
Quantz nickte. Da
hatte La Mettrie recht.
»Und da Sie ja die
Entwürfe meiner Schriften kennen«, fuhr der Franzose fort, »wird Ihnen klar
sein, dass die Fragen der Moral und die Regeln, nach denen das menschliche
Zusammenleben funktioniert, ganz oben auf der Liste der Dinge stehen, die mich
interessieren.«
»Das kann man wohl
sagen. Zumal Sie die Moral ja ablehnen. Weil Menschen keine Menschen, sondern
Maschinen sind.«
Die Augen des
Franzosen funkelten. Er schüttete eine halbe Tasse Kaffee in sich hinein.
Quantz wollte sich nachschenken, doch die Kanne war leer.
»Nun sind Sie es,
der sich in die Gefilde des Sarkasmus flüchtet, mein lieber Maître de Musique«,
sagte La Mettrie.
»Das ist ja auch
kein Wunder. Sie behaupten, Sie schreiben über das Zusammenleben der Menschen,
dabei wollen Sie Ihre Leser nur davon überzeugen, dass sie keine Schuldgefühle
zu haben und sich um Moral und Sitte nicht zu kümmern brauchen.«
»Und? Gelingt es
mir?«
»Was meinen Sie?«
»Sie sagen, ich
wolle sie überzeugen. Und ich frage: Gelingt es mir?«
»Herrgott, ich
meine, Sie versuchen , Ihre Leser zu überzeugen. Bei
mir gelingt Ihnen das nicht.«
»Das akzeptiere ich.
Und ich muss leider auch hinnehmen, dass Sie mein Interesse an dem Tod des
jungen Lakaien nicht teilen.«
»Was? Natürlich
teile ich es … Ich meine, ich wüsste zu gern, wer Andreas getötet hat und
warum.«
»Sehen Sie. Wir
haben doch etwas
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