Schatten über Sanssouci
stehen. Zwei Lakaien, die sie begleitet
hatten, hielten sich im Hintergrund bereit. Die Prinzessin strahlte eine
eigenwillige Autorität aus. Es lag an ihren ausdrucksvollen dunklen Augen, mit
denen sie nun die Gäste musterte. Quantz schickte sie ein leichtes Nicken.
»Ich begrüße Sie zu
unserer heutigen Zusammenkunft«, sagte sie. »Und ich freue mich, dass wir neue
Gäste bei uns haben. Herrn Mizler, der eigens aus Leipzig gekommen ist und uns,
wie ich höre, die besten Grüße von Herrn Kantor Bach übermittelt …«
Beifälliges Raunen
erfüllte den Saal. Die Prinzessin hob ihre kleinen, in weißen Handschuhen
steckenden Hände. Sofort kehrte wieder Ruhe ein. »Ebenso überrascht wie erfreut
bin ich, dass ein Mann zu uns gefunden hat, dem ich das Interesse an unserer
besonderen Leidenschaft gar nicht zugetraut hätte. Es ist Herr Kammermusikus
Quantz. In Diensten Seiner Majestät des Königs – meines Bruders.«
Quantz wurde es warm
unter seinem Rock, da alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Er dachte
angestrengt darüber nach, worum es hier eigentlich gehen mochte.
Bei Amalia wusste
man nie so recht, woran man war. Sie befasste sich mit Wahrsagerei, lud wegen
ihrer ständigen obskuren gesundheitlichen Probleme irgendwelche Quacksalber ein
und kaufte ihnen mysteriöse Arzneien ab – ähnlich wie Quantz’ Frau. Sie war eine
passable Musikerin, hatte Cembalounterricht genossen und begleitete in ganz
seltenen Fällen ihren Bruder.
Quantz erinnerte
sich, dass sie hin und wieder auf dem Cembalo selbst komponierte Stücke zum
Besten gegeben hatte. Einige davon waren im Marschrhythmus gehalten, und der
König hatte spontan erklärt, seine Schwester könne doch von nun an für die
Militärmusik sorgen. Das hatte im Kreise der Anwesenden für große Heiterkeit
gesorgt. Eine Frau als Musikmeisterin oder auch nur als Komponistin – das war
eine seltsame Vorstellung.
»Nun, Herr
Kammermusiker?« Die Prinzessin ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Was führt
Sie her? Hat Sie etwa mein Bruder geschickt, um etwas über die Unternehmungen
seiner kleinen Schwester herauszufinden?«
Die Vermutung der
Prinzessin überrasche Quantz nicht. Friedrich, der immer auf Sparsamkeit
bedacht war, hielt die Hand über die Hofhaltungen der königlichen Familie. Hin
und wieder hatte es schon Streit über die benötigten Finanzen gegeben.
Allerdings fragte sich Quantz, ob die Prinzessin wusste, was in Potsdam
geschehen war. Wenn dem so war, ging sie sicher aus Höflichkeit darüber hinweg.
»Ich bin aus eigenem
Antrieb hier, Eure Königliche Hoheit«, sagte er. »Ich war in der Oper und
erfuhr, dass die Musiker noch eine Privateinladung erhalten haben. Zufällig kam
ich mit der Kutsche am Schloss vorbei …« Ihm war nicht wohl bei der Lüge, doch er
konnte unmöglich zugeben, dass er herumspionierte.
»Und nun möchten Sie
wissen, was wir hier so treiben, was?«, sagte die Prinzessin mit einem vulgären
Ton in der Stimme, den sie gelegentlich herauskehrte. »Ich denke, Sie werden
bitter enttäuscht sein, mein lieber Quantz.« Leutseligkeit war wie bei ihrem
Bruder gewöhnlich ein schlechtes Zeichen. Es bedeutete meistens, dass
irgendeine Hinterhältigkeit bevorstand.
Amalia hob die Hand,
und einer der Lakaien trat auf sie zu und gab ihr ein dickes Heft – ein
Notenbuch.
»Sie waren doch im
vergangenen Jahr bei der Kammermusik anwesend … Was frage ich, Sie sind ja
immer anwesend. Sie sind ja die Kammermusik persönlich … Ich meine den
Abend, als Bach eintraf. Der alte Bach, der Vater unseres wackeren Cembalisten
hier. Und Sie waren Zeuge, wie mein Bruder den Herrn Kantor vor eine schwere
kompositorische Aufgabe stellte.«
»Sehr richtig,
Majestät. Ich war dabei. Und ich erinnere mich sehr gut daran.«
»Haben Sie jemals
davon gehört, dass Herr Bach, der alte, meine ich, die ihm damals gestellte
Aufgabe gelöst hätte?«
»Sie meinen, die
sechsstimmige Fuge über das gestellte Thema? Nein. Herr Bach musste aufgeben.
Die Aufgabe war zu schwer.«
»So hat es sich
ereignet, ja. Er musste aufgeben, was das Stegreifspiel, die Improvisation
betraf. Doch als er nach Leipzig zurückgekehrt war, hat er es nachgeholt und
eine noch viel reichere Musik aus dem gestellten Thema geschaffen. Nach reiflicher
Überlegung und ohne sich den flatterhaften Einfällen des Augenblicks
hinzugeben, wie es mein Bruder von dem alten Mann verlangt hat. Aber auf diese
Weise vermag man ja nur Modisches und Abgeschmacktes, niemals aber
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