Schatten über Sanssouci
Auf höchsten Befehl.«
Wie schon vor
einigen Tagen betrat Quantz des Schloss durch den Dienstboteneingang. Das
Treppenhaus lag wieder im völligen Dunkel. Er folgte nur den Geräuschen, die er
von oben vernahm: gedämpfte Stimmen, einige Probetöne auf einer Geige, ab und
zu ein Cembaloakkord.
Als er das Stockwerk
erreichte, wo sich die Musiker versammelt hatten, strahlte ihm Licht von
mindestens fünfzig Kerzen entgegen. Die Tür zu dem Saal stand offen. Als sich
Quantz dem Eingang näherte, drehten sich viele Gesichter zu ihm um. Er erkannte
Bach, Mara, Graun, aber auch andere Persönlichkeiten des Hoflebens wie Graf von
Keyserlingk, den russischen Gesandten, der musikalisch sehr interessiert war.
Der Raum war ein
ehemaliges Gästezimmer, das viel größer war als die kleinen Säle in Sanssouci.
Man hatte ihn vollkommen leer geräumt, um Platz für Stühle zu schaffen. Sie
waren auf eine Ecke dem Eingang gegenüber ausgerichtet, wo ein Cembalo stand,
umgeben von mehreren Notenpulten. Etwas abseits davon stand ein größerer
Sessel.
Als Erster löste
sich der Graf aus der Menge und kam auf Quantz zu. »Mein lieber Herr
Kammermusikus«, sagte er. »Ich freue mich, dass auch Sie zu unserem Kreis
gestoßen sind. Dabei dachte ich, dass Sie unsere Auffassungen der Musik nicht
teilen.«
Quantz begrüßte von
Keyserlingk höflich, blickte in die Runde und stieß auf Bachs unverhohlen
abschätzigen Gesichtsausdruck. »Ich weiß nicht, wem ich die Ehre zu verdanken
habe, hier zu sein.« Er fragte sich immer noch, was das hier überhaupt für eine
Veranstaltung war.
»Sie sprechen in
Rätseln, Herr Kammermusikus.« Der Geräuschpegel im Raum hatte sich nach seinem
Erscheinen gesenkt. Jeder hörte nun den beiden zu.
»Jemand hat den
Soldaten unten befohlen, mich durchzulassen«, sagte Quantz.
Der Graf lächelte.
»Jemand? Jemand hat Sie durchgelassen?«
Auch die anderen
Personen zeigten sich belustigt. Aus einigen Ecken war unterdrücktes Gelächter
zu vernehmen. Ein Mann in dunklem Rock löste sich aus der Gruppe um Bach, Mara
und Graun und kam auf sie zu.
»Ich nehme an, Sie
kennen die meisten der Anwesenden, und die meisten kennen Sie«, sagte der Graf.
»Bevor Sie unserem Gastgeber gegenübertreten – darf ich Ihnen einen besonderen
Ankömmling vorstellen?«
Der Mann im dunklen
Rock nickte Quantz zu.
»Herr Mizler«, sagte
Keyserlingk. »Das hier ist Herr Kammermusikus Quantz.«
»Sehr erfreut, Ihre
Bekanntschaft zu machen.« Der Mann, der mit seinen Augengläsern wie ein
Gelehrter wirkte, sprach mit einem fränkischen Akzent.
»Woher kommen Sie?«,
fragte Quantz.
»Aus Leipzig.
Dorthin hat es mich aus meiner Heimatstadt Heidenheim verschlagen.«
»Sind Sie Musiker?«
»Musiker, Philosoph,
Mathematiker.«
»Dies alles
zusammen?«
»Es gibt da
Berührungspunkte. Und genau diese sind mein Gebiet. Ich erforsche die Frage, ob
Musik eine Naturwissenschaft ist. Oder ob sie mehr Kunst oder Erkenntnis ist.
Oder ist sie, anstatt nur Kunst zu sein, vielleicht auch Philosophie? Und wenn
ja – in welchem Anteil? Letztlich geht es um die Frage, was uns die Musik zu
sagen hat.«
»Aber sie ist doch
die Kunst der Gefühle, der Emotionen«, sagte Quantz.
Auf Mizlers Gesicht
machte sich ein herablassendes Lächeln breit, als wäre sein Gegenüber ein
Schüler, der eine einfältige Bemerkung gemacht hatte. »Wenn man freilich
klischeereiche Konzerte nach der Form der Italiener schreibt, so wird man das
so sehen.«
Quantz überging den
Stich, den er innerlich spürte. Wollte der Mann ihn beleidigen?
»Umso mehr«, fuhr
Mizler fort, »ist natürlich zu fragen, was Sie in diesen erlauchten Kreis
führt, Herr Quantz. Wir dachten immer, Sie seien an den Themen unserer Treffen
nicht interessiert.«
»Was für Themen?
Womit befassen Sie sich hier? Sagen Sie mir bitte –«
Er wurde
unterbrochen, als sich alle im Raum der Tür zuwandten. Dort erschien eine
schmale Gestalt im ausladenden Reifrock. Die Frau trug eine Perücke, die mit
ihren Locken, die links und rechts die Ohren verdeckten, eigentlich nach der
Mode der Männer frisiert war. Auf dem Haarschmuck thronte ein kleiner
Dreispitz. Die Anwesenden verbeugten sich – auch Quantz. Er hatte Prinzessin
Amalia, Friedrichs jüngste Schwester, sofort erkannt.
»Bitte erheben Sie
sich«, sagte die Prinzessin und bahnte sich einen Weg durch die Menschen auf
die andere Seite des Saales, wo man Vorbereitungen für die Musik getroffen
hatte. Neben dem Sessel blieb sie
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