Schatten über Sanssouci
Dinge, die irgendwelche
mittelalterlichen Hinterwäldler fälschlich als etwas vom Körper Getrenntes
betrachten. Und somit unterliegt der Mensch rein diesseitigen Mechanismen. Er
ist also was? Eine Maschine. Freilich ist er viel feiner und in der Mechanik
der Beziehungen der einzelnen Teile viel, viel raffinierter aufgebaut als alle
Maschinen, die die Menschen selbst zu bauen in der Lage sind. Er ist eben eine
natürliche und keine künstliche Maschine. Seele, Geist, Empfindungen – nichts
davon existiert unabhängig von Ihrem Körper, mein Freund. Und natürlich auch
nicht unabhängig von dieser einen, diesseitigen Welt. Sie haben es gerade
selbst bestätigt.«
»Gut, dass Sie mir
das gerade auf einem nächtlichen Fußmarsch auf Strümpfen mitteilen.«
»Jeder Moment, in
dem man große Erkenntnisse gewinnt, ist stets der richtige Moment.«
»Beeilen wir uns
lieber«, sagte Quantz, obwohl er keine Ahnung hatte, was sie unternehmen
würden, wenn sie die Straße erreicht hatten. Aber es war immerhin eine weitere
Etappe ihrer Odyssee. Kannte er vielleicht jemanden, der am Weg nach Berlin
wohnte und der sie die eine Nacht aufnehmen würde, ohne groß Fragen zu stellen?
Morgen früh konnte man dann vielleicht jemanden in die Stadt schicken – zu
Sophie, um Kleidung zu besorgen. Dann wären sie wenigstens in der Lage, sich,
ohne Aufsehen zu erregen, auf der Straße zu zeigen.
Und dann galt es,
sich eine Strategie zu ihrer Verteidigung zurechtzulegen. Er war unschuldig!
Der König und sein verdammter Rat vom Kriminalgericht mussten das doch
einsehen!
Jetzt war die Straße
ganz nah. Und plötzlich war da ein Licht, als hätte jemand eine Lampe
angezündet. Da waren Schatten. Zwei Kutschen. Männer. Ein metallener Helm
blitzte auf.
»Zurück«, zischte La
Mettrie und griff Quantz am Unterarm. Sie wollten loslaufen, doch auch hinter
ihnen wurde es hell. Von allen Seiten ragten ihnen Bajonette entgegen. Sie
waren von Grenadieren umkreist.
»Guten Abend, meine
Herren. Sie haben sich Zeit gelassen.« Eine kleine Gestalt bahnte sich durch
die Uniformierten. Die Narben auf ihrem Gesicht, die im Tageslicht weniger
auffielen, wirkten im Schein der Flammen viel schärfer.
»In die Kutschen mit
ihnen, wie befohlen«, rief der Rat den Soldaten zu.
»Monsieur Weyhe«,
schrie La Mettrie. »Ich bin Kammerherr des Königs. Und ich bin nur Seiner
Majestät verpflichtet.«
Die Grenadiere
griffen den Franzosen und Quantz und führten sie zu den bereitstehenden
Fahrzeugen.
»Ich glaube nicht«,
sagte der Rat, »dass Sie in Ihrer Situation und in diesem Aufzug Seiner
Majestät gegenübertreten möchten. Und ich denke nicht, dass Sie Wert darauf
legen, die Nacht im Freien zu verbringen. In den Kutschen liegt trockene
Kleidung für Sie bereit. Ich bin kein Unmensch.«
Quantz und La
Mettrie wurden getrennt. Jeder kam in eine eigene Kutsche. Als die Pferde
anzogen, blickte Quantz aus dem Seitenfenster und versuchte, etwas zu erkennen.
Doch die Nacht war nun ganz und gar hereingebrochen, es war stockdunkel. Nur
die rötliche Lampe, die vorn auf dem Bock neben dem Kutscher hing, warf einen
matten Schein auf den vorbeiwandernden Wegesrand. Quantz tastete auf den
gegenüberliegenden Sitz und fand einen Rock, eine Hose, Schuhe und Tücher zum
Abtrocknen. Weyhe hatte alles penibel vorbereitet.
Während er die
trockenen Kleider anzog, kam ihm der Moment in den Sinn, als er im Schloss in
Weyhes Zimmer gestanden und in den Frühlingstag hinausgeblickt hatte. Wie er
mit allen Kräften versucht hatte, diesen Eindruck festzuhalten, weil er ihn
bald gegen die ewige schmutzige Dunkelheit eines Gefängnisses eintauschen
würde.
Jetzt hatte er
wirklich noch diese Erinnerung. Zehre davon, sagte er sich. Gib dich ihr hin.
Nichts sonst ist dir geblieben.
Er schloss die Augen
und versuchte, sich die erträumten Landschaften von Arkadien in die Gedanken zu
rufen, die Musik, die seine Phantasien stets begleitet hatte. Doch alles blieb
stumm. Und jede Bewegung der Kutsche holte ihn in die schreckliche Wirklichkeit
zurück.
Quantz schrak
auf, als die Kutsche anhielt. Es herrschte immer noch tiefe Nacht, doch es
brannten Fackeln. Jemand riss die Seitentür auf.
»Rauskommen«, befahl
eine bellende Stimme.
Quantz, dem die
Beine eingeschlafen waren, quetschte sich nach draußen und taumelte leicht. Er
hatte kaum einen Blick in einen gepflasterten Innenhof erhaschen können, da kam
jemand von hinten und verband ihm die Augen.
Wo waren sie hier?
Das sah
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