Schatten über Sanssouci
nicht nach einer Festung aus. Eher nach einer Residenz, nach einem
kleinen Schloss. Die hohen Fenster, die Verzierungen an den Simsen …
Man drückte Quantz
nach vorn, er kam ins Stolpern, fing sich und bewegte mechanisch seine Beine.
»Treppe abwärts«,
warnte jemand.
Quantz blieb stehen
und tastete sich mit dem Fuß nach vorn. Er stieg schmale Treppenstufen nach
unten. Die Luft wurde feucht und muffig. Die Geräusche schienen von den Wänden
enger Gänge widerzuhallen.
Man machte sich an
seinen Händen zu schaffen und schob ihn auf eine Bank. Er setzte sich aufrecht
und lehnte sich an. Sein Rücken traf Stein. Eine Metalltür fiel ins Schloss.
Schritte entfernten sich.
»Herr Quantz?«
»Monsieur?«
»Ah, auf dieser
Seite sind Sie. Hat man Ihnen auch die Augen verbunden und die Hände
gefesselt?«
»Allerdings.«
La Mettrie schien
nicht weit entfernt zu sein.
»Hat man uns in
denselben Kerker gesperrt?«, fragte Quantz.
»Versuchen Sie es
herauszufinden. Stehen Sie auf und kommen Sie her. Vielleicht gelingt es uns
gemeinsam, die Fesseln zu lösen und etwas von diesem erneuten Gefängnis zu
sehen. Obwohl ich nicht glaube, dass es besonders sehenswert ist.«
»Das ist sicher
sinnlos, Monsieur.«
»Nun machen Sie
schon. Wollen Sie etwa aufgeben?«
Was sollte das
alles? Sie waren eingesperrt. Man hatte sicher dafür gesorgt, dass sie nicht
fliehen konnten, selbst wenn sie sich ihrer Fesseln entledigten. Und warum kam
La Mettrie nicht zu ihm?
Doch Quantz erhob
sich vorsichtig und ging einen Schritt von der Bank weg. Dann noch einen.
»Sagen Sie etwas, Monsieur. Sonst verliere ich die Richtung.«
»Hier bin ich,
Maître de Musique. Hier.«
Quantz ging weiter
in die Richtung, aus der die Stimme des Franzosen kam. Seine Beine wurden
schwach. Er ging in die Knie und sank auf den harten Fußboden.
»Wo bleiben Sie?«,
kam es von La Mettrie.
»Wie wäre es, wenn
Sie den Rest der Strecke zurücklegen würden und mir entgegenkämen? Oder wir
lassen es ganz.«
»Was ist mit Ihnen?
Können Sie nicht mehr?«
Quantz streckte die
Beine aus. Seine Füße berührten etwas, das sich weich anfühlte. Wie ein
gefüllter Sack oder ein Bündel. Als er noch einmal dagegentrat, hörte er ein
Stöhnen.
»La Mettrie, sind
Sie das?«, fragte er.
»Was meinen Sie?«
Quantz rutschte auf
dem Hosenboden weiter. Etwas bewegte sich auf dem Boden vor ihm.
»Wir sind nicht
allein hier drin«, sagte er leise.
Das Bündel oder
vielmehr der Mensch, der das Bündel war, schien Quantz entgegenzukriechen.
Jetzt war sein Atmen zu hören, so nah war er.
»Wer ist da?«,
fragte Quantz.
»Hier bin ich«, kam
es von dem Philosophen.
»Ich wäre Ihnen
verbunden, wenn Sie still sein könnten.«
»Monsieur, ich muss
doch sehr bitten.«
»Scht!«
Endlich schien La
Mettrie zu verstehen und hielt den Mund. Finger aus dem Dunkel betasteten
plötzlich Quantz.
»Hallo?«, sagte er.
»Sagen Sie etwas. Nicht Sie, La Mettrie. Hier ist noch jemand …«
Die tastenden Finger
fuhren über Quantz’ Rock. Etwas raschelte. War das Papier? Was geschah da nur?
Der andere Gefangene
oder wer auch immer es war, entfernte sich. Quantz streckte die Beine, um
wieder Kontakt herzustellen. Da waren laute Schritte zu hören. Am Rand von
Quantz’ Augenbinde erschien Helligkeit. Metall kreischte. Quantz wurde grob
gepackt und emporgehoben. Man löste die Fesseln, riss an seinem Kopf – und er konnte
sehen.
Er stand in einem
Kerker. Keine Mannslänge entfernt war Rat Weyhe damit beschäftigt, La Mettrie
zu befreien. In einer Ecke lag der andere Gefangene. Es war Andreas. Fast hätte
er ihn nicht erkannt. Er trug keine Livree, sondern einen hellgrünen, stark verschmutzten
Rock und keine Perücke. Er blickte teilnahmslos vor sich hin.
Hinter dem Rat waren
drei Männer in Zivil zu erkennen. Sie trugen Fackeln und waren mit Säbeln
bewaffnet. »Den Herren geht es gut«, sagte Weyhe. »Umso besser. Eine intakte
Gesundheit ist wichtig, wenn man seine Haftstrafe antritt. Wobei ich allerdings
nicht weiß, ob es der Richter bei einer Haftstrafe belässt. Vielleicht führt
man Sie ja auch zum Galgen. Das zu entscheiden ist jedoch Aufgabe des
Gerichts.«
»Dort ist Andreas«,
sagte Quantz. »Sehen Sie ihn, Herr Rat? Ich habe ihn nicht ermordet, wie Sie es
mir vorwerfen. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis.«
Weyhe schien der
Einwand nicht im Geringsten zu interessieren. »Bitte stellen Sie sich gerade
hin. Ein Herr wird Ihnen einen Besuch abstatten, in dessen
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