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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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vollkommen recht. Ich war
wirklich zu spät. Meine Uhr ist offensichtlich stehen geblieben. Das tut mir
außerordentlich leid.«
    »Entschuldigung
angenommen«, sagte Vitell sofort. »Und jetzt: Schwamm drüber. Dann können wir
uns anderen Dingen zuwenden. Ich möchte Ihnen nämlich jemanden vorstellen.«
    Otto blickte auf
einen hoch aufgeschossenen älteren Mann, der dem Kommerzienrat gefolgt war.
Seine stark gewölbten Augenbrauenbögen beschatteten metallisch glänzende und
seltsam starr blickende Augen. Die Stirnfalten waren tief wie Ackerfurchen, und
die aufeinandergepressten Lippen bildeten zwei messerscharfe Linien. Es war der
Mann, der Otto während des Vortrags so feindselig angestarrt hatte.
    »Das ist
Kriminaldirigent von Grabow«, sagte Vitell. »Er ist der Leiter der Abteilung IV des Polizeipräsidiums von Berlin.«
    Der
Kriminaldirigent?, dachte Otto überrascht. Er konnte sich nicht erklären, wieso
der Leiter der Kriminalpolizei etwas gegen ihn haben sollte. Möglicherweise
hatte er die Blicke falsch gedeutet, oder es lag eine Verwechslung vor. Mit
Sicherheit würde sich alles schnell aufklären. »Ich hoffe«, sagte Otto, »dass
mein Vortrag Ihr Interesse wecken –«
    »Mich können Sie
nicht täuschen«, unterbrach ihn von Grabow. Seine außergewöhnlich hohe und
schrille Stimme passte nicht zu seiner gravitätischen Erscheinung. »Ich weiß
sehr wohl, wer Sie sind, und vor allem weiß ich, was Sie sind.«
    Kommerzienrat
Vitell fuhr sich irritiert über die Haare, so als könnte er mit einer
geordneten Frisur die Situation besser kontrollieren. »Die Abteilung des
Kriminaldirigenten bearbeitet den Kreuzigungsfall«, sagte er, offenbar in der
Hoffnung, von Grabows seltsamen Einwurf überspielen zu können. »Wie Sie
vielleicht mitbekommen haben, Herr Doktor, nimmt die Bevölkerung großen Anteil
an dem Schicksal der gekreuzigten Handschuhnäherin. Um Unruhe und Angst bei den
Menschen zu vermeiden, ist es nötig, schnelle Ergebnisse zu präsentieren. Dabei
soll Ihre Methode zur Aufklärung beitragen.«
    Otto schaffte es
endlich, seinen Blick von Kriminaldirigent von Grabow zu lösen, und räusperte
sich. »Ihr Angebot schmeichelt mir natürlich, Herr Kommerzienrat, aber leider
muss ich Sie enttäuschen. In punkto Polizeiarbeit habe ich keinerlei
Erfahrung.«
    »Vitell«, sagte
von Grabow nun, »haben Sie überhaupt keine Ahnung, mit wem Sie es da zu tun
haben? Wissen Sie, wie dieser Schurke von den Wachtmeistern und
Droschkenkutschern am Opernplatz genannt wird? Nein? Dann will ich es Ihnen
sagen. Man nennt ihn ›Don Quichotto‹.«
    »Dr. Sanftleben
soll ein Schurke sein?«, fragte Vitell ungläubig.
    Endlich begriff
Otto, was von Grabow so aufbrachte, aber er verspürte nicht die geringste Lust,
eine Grundsatzdiskussion zu führen. Der Vortrag war zu gut gelaufen. Er hatte
lange auf ihn hingearbeitet und wollte sich den Erfolg nun nicht verderben
lassen. »Das ist eine Sache zwischen mir und dem Kommissariat für Fuhrwesen und
geht Sie –«
    »Das sehe ich
völlig anders«, sagte von Grabow. »Ich sorge nämlich immer und überall dafür,
dass man radikalen Elementen wie Ihnen das Handwerk legt.«
    »Meine Herren«,
sagte Vitell und glättete nun mit beiden Händen seine Haare. »Ich bitte Sie!
Lassen Sie uns vernünftig sein und über den Kreuzigungsfall reden.«
    »Mit diesem
Subjekt nicht«, sagte von Grabow. »Dieser Mann ist trotz polizeilichen Verbots
achtundzwanzigmal – ich wiederhole: achtundzwanzigmal – von Wachtmeistern
aufgegriffen worden, als er Unter den Linden Fahrrad fuhr. Wobei Fahrrad fahren
nicht der richtige Ausdruck ist. Man sollte besser sagen: die Straße
hinunterraste, um sich dem Zugriff der Staatsmacht zu entziehen.«
    »Ist das
richtig?«, fragte Vitell.
    Otto unterdrückte
die in ihm aufsteigende Wut und machte sich bewusst, dass er nicht als
Einzelperson, sondern stellvertretend für alle Radsportler hier stand. Und
eigentlich sollte er nun besser einlenken, das wusste er. Trotzdem konnte er
sich eine kleine Provokation nicht verkneifen. »Um genau zu sein«, sagte er und
besah sich seinen Daumennagel, »waren es nicht achtundzwanzigmal, sondern
neunundzwanzigmal.«
    Von Grabow riss
die Augen auf. »Umso schlimmer! Denn jedes Mal wurde ihm ein Bußgeld auferlegt,
jedes Mal beglich er den Betrag sofort, jedes Mal wurde er ermahnt, nie wieder
Unter den Linden Fahrrad zu fahren, und jedes Mal brach er die Vorschrift aufs
Neue. Dieser Mann verspottet die

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