Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
»Ihr seid Soldaten, mein Freund, und hier findet ein Krieg statt, in dem Ihr gebraucht werdet. Dem wollt Ihr den Rücken kehren, um in eine Stadt zurückzugehen, die sich in Frieden und Sicherheit wiegt?«
Chezhou-Lei Woh Lien blickte verunsichert zu seinem Kameraden hinüber, dem ebenfalls nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein schien. »Die Entscheidung darüber liegt nicht in unserer Hand, Yatol.«
»Ihr seid doch die Befehlshaber Eurer jeweiligen Streitkräfte«, konterte Grysh. »Ich bin sicher, Ihr behaltet Euch in Notfällen die Entscheidungsgewalt vor.«
»Das ist richtig, Yatol. Nur liegt ein solcher Notfall nicht vor. Jedenfalls nicht im Augenblick. Abgesehen davon lautete der Befehl der Stimme Gottes, bei der ersten Wetterbesserung zurückzukehren.«
Er wollte noch etwas hinzufügen, doch Grysh hob die Hand zum Zeichen, er möge davon Abstand nehmen. »Dann geht«, sagte er mit einem Blick von Carwan Pestle zu Wan Atenn, das Gesicht ein Bild der Sorge, ein Gefühl, das ihm kaum ferner hätte liegen können. »Und lasst uns beten, dass dieser Schurke Ashwarawu als Erster von der Beute seines letzten Überfalls gekostet hat.«
Daraufhin entließ der sich wütend und enttäuscht gebende Yatol alle Anwesenden und zog sich, einen aufrichtig verwirrten und besorgten Carwan Pestle dicht auf den Fersen, in seine Privatgemächer zurück.
Doch Yatol Grysh war keineswegs besorgt, alles andere als das. Er wusste jetzt, was er von diesem Rebellen Ashwarawu zu halten hatte. Er war auf dem besten Weg zu verstehen, wie der Mann dachte, und er wusste, dass er dessen Selbstvertrauen stärkte, das ihm letztendlich zum Verhängnis werden würde. Es würde ein angenehmer Frühling werden in Dharyan.
»Ihr macht einen niedergeschlagenen Eindruck«, sagte Pagonel am Tag nach dem Überfall auf die Karawane zu Brynn. Sie saß allein ein wenig abseits des Lagers und reinigte, nach außen hin ruhig und gefasst, ihr Schwert, eine Fassade, die der scharfsichtige Mystiker jedoch sofort durchschaut hatte. »Es ist eine Sache, einen Mann im Zweikampf zu töten – das plötzliche Gefühl der Angst und die Notwendigkeit, sich zu verteidigen, lassen sich rational rechtfertigen. Etwas ganz anderes ist es, einen hilflos am Boden liegenden Menschen zu töten. Ihr könnt von Glück reden, dass es nach dem Überfall keine unverletzten Behreneser gegeben hat, Männer, die einfach nur überrannt und anschließend gefangen genommen worden waren.«
»Ihr stellt eine Menge Vermutungen an.«
Pagonel sah sie mit einem entwaffnenden Lächeln an. »Vielleicht hat ein Soldat ja den Tod verdient, der Eure Heimat überfällt.«
»Jeder Behreneser, der ungefragt nach To-gai kommt, hat den Tod verdient«, erwiderte Brynn im Brustton der Überzeugung.
»Hat er das?« Da war er wieder, der verhalten angedeutete Widerspruch, völlig ruhig vorgetragen und im Gewand ernst gemeinter Argumentation. »Angenommen, Ihr stoßt zufällig auf eine Siedlung und trefft dort eine junge behrenesische Mutter mit ihrem Kind, würdet Ihr sie wirklich töten? Ohne dass sie sich etwas hätte zuschulden kommen lassen?«
Brynn starrte ihn durchdringend an.
»Ihr würdet sie vielleicht in ihre Heimat zurückschicken«, fuhr der Ordensbruder fort. »Wahrscheinlich sogar mit einer ausreichenden Menge an Vorräten, damit die beiden auf dem Heimweg nicht in Schwierigkeiten geraten.«
Brynn, das Gesicht angespannt, machte sich wieder an ihre Arbeit mit dem Schwert. »Ihr stellt viele Vermutungen an.«
»Es mögen Vermutungen sein, aber sie fußen auf gründlicher Beobachtung«, erklärte er, während er sich neben der jungen Hüterin niederließ. »Ich habe Euch heute Vormittag beim Training zugesehen.«
Die Bemerkung ließ Brynn auf der Stelle erstarren. Sie hatte sich frühmorgens ein gutes Stück vom Lager der To-gai-ru entfernt, um sich im Bi’nelle dasada zu üben, dem Schwerttanz der Elfen, ein Ritual, das sie in letzter Zeit viel zu oft vernachlässigt hatte. Im Tal der Elfen hatte Brynn den Tanz nackt geübt, aber da hier in der Steppe Winter herrschte und ständig ein schneidend kalter Wind über dem hart gefrorenen Gras wehte, hatte sie an diesem Morgen ein leichtes Hemd getragen. Trotzdem hatte Pagonel sie mit seinem unverblümten Bekenntnis überrumpelt, und sie fühlte sich nicht weniger belästigt, als hätte sie nackt getanzt. Der Bi’nelle dasada war eine äußerst persönliche Übung, eine genau festgelegte Abfolge kunstvoller Bewegungen mit dem
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