Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
ziemlich schnell voran. Wolfgang hatte bereits bemerkt, dass sie ein gutes Talent für Sprachen hatte. Überhaupt war sie eine Frau mit vielen Talenten. Das Schicksal war hart zu ihr gewesen, hatte sie ziemlich durchgeschüttelt, doch sie schien aus jedem ihrer Unglücke etwas mitgenommen zu haben. Solange seine Stimmen ruhig hielten, arbeitete er gern mit ihr zusammen. Sie hatte Mut, und sie war schlau – schlauer als er selbst, wie er insgeheim vermutete.
In der Eingangshalle hörte er die Soldaten rumoren. Den Vormittag über waren sie draußen gewesen, hatten Sport gemacht, wie es sich für eine gute, faschistische Wehrsportgruppe gehörte. Nun kamen die Ersten zurück aus der Dusche und würden gleich mit Heißhunger über die Küche herfallen. Beinahe instinktiv gingen Wolfgangs Hände zur Karte, bereit, sie jeden Moment einklappen zu können. Seine Augen verließen dabei jedoch kein einziges Mal die Hügel und Flüsse der Region östlich von Åndalsnes, die er sich gerade einprägte. Wer wusste schon, ob ihm dieses Wissen nicht einmal das Leben retten würde?
Draußen verstummte das Rumoren plötzlich. Eine tiefe Stimme murmelte etwas – Uirolecs Stimme! –, worauf Tönnes etwas erwiderte, zu leise, als dass Wolfgang es in der Küche verstehenkonnte. Kurz darauf hörte er erneut Schritte auf der Treppe, diesmal in die andere Richtung. Tönnes hatte seine Fallschirmjäger zurück nach oben geschickt.
Das war so unnormal, dass sich Wolfgang angespannt aufrichtete.
»Alles in Ordnung?«, fragte Keelin, die seine Anspannung bemerkt hatte.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Tönnes streckte seinen kahl rasierten Schädel herein und meinte: »Sie sollten besser kommen. Uirolec hat uns etwas zu erzählen.«
Wolfgang und Keelin warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann standen sie beide abrupt auf und eilten dem Fallschirmjäger hinterher ins »Wohnzimmer«, Landkarte und Lesebuch vergessen auf dem Küchentisch zurücklassend. Von der Treppe stießen Bauer und Alistair zu ihnen, beide jedoch merklich unaufgeregt. Es hätte Wolfgang auch gewundert – der ehemalige Stabsfeldwebel war geradezu stoisch in seiner Ruhe, während der Gesichtstauscher ein professioneller Täuscher war. Ihn bei einer Emotion zu erleben, die er nicht absichtlich und im vollen Bewusstsein in seinem Gesicht zeigte, war vermutlich seltener als ein Sechser im Lotto.
Uirolec saß auf dem Podest, auf dem er die letzte Woche mit Lesen verbracht hatte. Ein ganzer Stapel neu beschrifteten Papiers lag an einem Ende des Tischs, vor ihm war das Buch aufgeschlagen. Der Druide selbst war aufgestanden und hatte vornübergebeugt eine Hand auf dem Tisch abgestützt, während er ein braunes Stück Pergament mit einer Seite des Buches verglich. Mit keiner Bewegung deutete er an, dass er die Ankunft der anderen bemerkt hätte.
Nervös und aufgeregt versammelten sie sich vor dem Podest. Wolfgang fühlte sich wie ein Schuljunge, der auf die Verkündigung der Note für die Klassenarbeit wartete. Mit der Ausnahme, dass eine Schulnote nur sein eigenes Leben verändern würde. Das, was Uirolec zu sagen hatte, konnte den Fortgang des Krieges beeinflussen …
Doch der piktische Druide schien im Moment noch nichts zu sagen zu haben. Völlig unbeweglich stand er dort oben, das Einzige, was sich bewegte, waren seine Augen, die hastig zwischen den Dokumenten hin- und hereilten. Die Stirn darüber war in tiefe Furchen gelegt.
Doch gerade als Wolfgang schließlich das Wort ergreifen wollte, kam Bewegung in Uirolec. Abrupt griff er nach einem Bleistift und einem der Papierzettel und begann, in schwungvollem Schreibstil Notizen hinzuzufügen. Wolfgang rechnete damit, dass der Pikte gleich damit fertig war, doch stattdessen schrieb Uirolec weiter und weiter, als ob ihm gerade ein entscheidender Durchbruch gelungen wäre. Bauer und Tönnes wechselten kurz Blicke, aber keiner wagte es, den Mann bei seiner Arbeit zu stören.
Uirolec legte das Blatt zur Seite und griff nach einem neuen, das er ebenso vollschrieb wie das letzte. Er blätterte einmal in dem Buch, schrieb dann weiter und weiter. Wolfgang wurde langsam unruhig, wäre am liebsten zu dem Pikten auf das Podest gestiegen und hätte mitgelesen, doch er wagte nicht, den Druiden zu unterbrechen oder zu stören. Stattdessen schob er nervös den Kaugummi in seinem Mund hin und her und versuchte ansonsten seine Ungeduld zu verbergen.
Schließlich legte Uirolec den Stift zur Seite und sah auf. Es war das erste
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