Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
was?«, murrte Rushai. Er führte die linke Hand zur Klinge und holte aus.
Die Angst ließ Seog schneller atmen, ein, aus, ein, aus, ein, aus, als ob sein Atem mit seinem Herzschlag konkurrieren wollte. Sie hatte ihn nun völlig gepackt, blies sämtliche Gedanken aus seinem Kopf, bis nur noch der an die scharfe Klinge des Schwerts übrig war. Er presste die Augen zusammen, wollte nicht sehen, was mit ihm passierte, wollte nicht wahrhaben, was da geschah. Noch immer presste er die Kiefer aufeinander, wusste, dass er sonst schreien würde.
BITTE!
, schrie er in Gedanken.
»Dann fahr zur Hölle«, murmelte Rushai.
Die Eishölle
, dachte Seog.
Das Totenreich.
Dann elektrisierte ein grässlicher Schmerz seinen Körper.
Dann nichts mehr.
Es war ungefähr ein Dutzend Mann, die mit Derrien über die Wiesen davonliefen, nur raus aus der Stadt, nur weg von dem Ort, an dem so viele ihrer Gefährten umgekommen waren. Die Scham brannte in Derriens Gesicht, die Scham, so viele Männer in den Tod geführt zu haben, ein zweites Mal in praktisch exaktdie gleiche Falle getappt zu sein. Am schlimmsten aber war die Tatsache, Seog zurückgelassen zu haben. Doch was hätte er tun sollen? Umdrehen und ihm helfen? Es hätte nichts gebracht außer seinen eigenen Tod.
Derrien versuchte, die Gedanken zur Seite zu drängen, schließlich hatte er im Moment größere Probleme als sein schlechtes Gewissen, doch es gelang ihm nicht. Seine Gedanken kreisten, kreisten wie wild, bis er hätte schreien können vor Wut und Verzweiflung. Doch es half alles nichts, was geschehen war, war geschehen, und was getan werden musste, musste getan werden.
Derrien blieb stehen, ließ die Männer weiterlaufen, den Hang zum Aksla hinauf, hinein in den Bergwald, wo sie sich verstecken würden. Er folgte ihnen nicht. Stattdessen lief er hinter der Steinmauer und der Hecke, die die nahen Wiesen begrenzten, nach Süden zur Raumafurt. Einmal mehr fühlte er sich schäbig, seine Männer so verraten zu müssen, doch es war der einzige Weg. Rushai würde schon sehr bald die Jagd beginnen, und Derrien hoffte, dass sich der Schattenlord von den Spuren der Waldläufer ablenken ließ, dass Derriens einzelne abweichende Fährte nicht weiter auffiel. Abgesehen davon befand sich weder auf noch nahe dem Aksla eine Pforte. Er brauchte die Pforte auf dem Gridsetskolten. Es war seine einzige Chance.
Die Furt war noch immer unbewacht. Rushai hatte offenbar noch nicht den Überblick, was wo geschehen war, sonst hätte er die Wachen längst ersetzt, die früher in der Nacht von Derrien und Murdoch getötet worden waren. Geduckt eilte Derrien den Karrenpfad entlang, watete durch das eisige Wasser der Rauma, eilte das gegenüberliegende Ufer hinauf. An der dortigen Mauerecke ging er in Deckung und vergewisserte sich, nicht verfolgt zu werden.
Er zuckte zusammen, als er sah, dass ein Mann auf der anderen Seite ans Ufer lief, sich vorsichtig umsah und dann zügig die Furt überquerte, ein großer, sehniger Kerl, dessen Kopf die Umrisse eines Wolfes zu haben schien. Jarl Ivar, vermutete Derrien sofort, doch das hinderte ihn nicht daran, seine Hand auf
Waldsegens
Heft zu legen. Auch andere Menschen konnten einen Wolfspelz tragen …
Doch es war tatsächlich Ivar. Seine kantige Art zu gehen verriet ihn. Derrien entspannte sich. »Ivar!«, flüsterte er, kurz bevor der Mann an seinem Versteck vorbeikam.
Man musste dem Germanen zugutehalten, dass er nicht leicht zu erschrecken war. Der Jarl blieb kurz stehen, kam dann um die Mauerecke und sah zu Derrien herab. »Ihr geht zum Gridsetskolten?«
Derrien nickte.
»Ich begleite Euch.«
Derrien nickte noch einmal. Er war nicht sonderlich überrascht.
In tiefem Schweigen marschierten sie weiter, während hinter ihnen langsam die Geräusche dieser desaströsen Nacht verblassten. Das Schreien der Verwundeten hörte nach und nach auf, das Brausen der Brände wurde vom Winde verweht, die Kommandostimmen waren fertig damit, Kommandos zu geben. Selbst das ferne Licht des Feuers wurde schwächer, als sie in den Wald eindrangen, durch den der Weg zur Gridsetskoltenpforte führte. Sie schwiegen, bis sie schließlich Stunden später und zu Tode erschöpft nach einer anstrengenden Bergtour die Pforte erreicht hatten, wo eine Felsenklippe aus einem kleinen Hain emporragte. Die nachtgrauen Fichten wurden von einer uralten Weißtanne dominiert, die sich majestätisch mindestens zwanzig Meter über ihre Spitzen erhob.
Die Magie dieses Ortes war
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