Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Mal, dass er sie bewusst wahrzunehmen schien, das erste Mal in der knappen Viertelstunde, die sie nun auf ihn warteten. Er zog geräuschvoll die Nase nach oben. »Ich habe einige Fortschritte erzielt«, murmelte er dann mit seiner Bassstimme.
Er sprach nicht weiter, als ob er eine Aufforderung benötigte. Wolfgang lieferte sie ihm: »Welche Fortschritte? Erzählt uns davon, Uirolec!«
Der Pikte nickte langsam. Dann klappte er das Buch zu und hob es nach oben, um es ihnen noch einmal zu zeigen. Der Hüne benötigte dafür nur eine Hand. »Dieses Buch hier«, erklärte er dabei, »ist eine Abschrift von einem viel, viel älteren Werk.« Er legte es wieder auf den Tisch und schlug es auf. »Das Originalstammt vielleicht aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert nach Geburt des Blenders.« Mit Blender meinte er natürlich Jesus Christus. Es gab weder christliche Magier noch eine christliche Aura, weshalb die Völker davon ausgingen, dass die christliche Religion schlichtweg eine Lüge war, Jesus Christus einer der begnadetsten Betrüger der Antike.
»Das bedeutet«, warf Alistair ein, »es könnte noch aus der Zeit vor der Weltentrennung stammen.«
Uirolec nickte. »Dieser Anschein wird sicherlich erweckt. Zumindest habe ich bisher keine Passage gefunden, die dem widersprechen würde. Es scheint sich um eine Art Handbuch zu handeln, eine Anleitung für Rituale und Beschwörungen. Ich glaube, dass mit dem Wissen aus diesem Buch die ersten Schatten in unsere Welt gekommen sind.«
Ein kalter Schauer rann Wolfgangs Rücken hinab. Das war das Wissen, das sie alle benötigten. »Wie?«, fragte er nur.
»Die Details des Rituals habe ich noch nicht erschlossen. Es scheint aber, dass sie dazu eine Essenz bräuchten, die man nur in einer anderen Welt findet.«
»Einen anderen Welt?«, fragte Keelin. Ihre Stimme zitterte leicht.
»Wir Pikten nennen sie die Dritte Welt. Sie ist die Heimat derer, die wir als Dämonen kennen. Offenbar liegt auch der Ursprung der Schatten dort, wenngleich sie völlig andere Eigenschaften haben. Es scheint, dass die Kreation eines Schattens eine Art spiritueller Essenz aus dieser Dritten Welt benötigt.«
»Ein Schatten ist mehr als nur ein Stück spiritueller Essenz«, warf Wolfgang ein. »Es sind Wesen aus Fleisch und Blut, keine Geister!« Um genau zu sein, ähnelten sie in ihren Eigenschaften stark den Fähigkeiten der Magier, doch darüber wollte er keine Mutmaßungen anstellen.
»Ja, ich weiß«, gestand Uirolec. »Bisher kann ich leider nichts Genaueres dazu sagen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob dieses Stück Information tatsächlich in diesem Buch enthalten ist.« Keelin und Wolfgang gaben enttäuschte Seufzer von sich. »Leider«, fuhr der Pikte fort, »konnte ich bisher nur herausfinden, anwelchem Ort diese spirituelle Essenz zu einem Schatten heranreift.«
Wolfgang schluckte. Ein Wo war vermutlich fast genauso gut wie ein Wie. Sein Mund fühlte sich plötzlich trocken an, als er gebannt darauf wartete, dass der Pikte weitersprach.
»Erzählt uns davon«, bat Keelin.
Uirolec begann, in dem Buch zu blättern, bis er schließlich eine Stelle fand, die er mit einem braunen Pergamentstück markiert hatte. Er richtete sich auf, warf Wolfgang und den anderen einen kurzen Blick zu und begann zu lesen:
»Diese jungen Kreaturen werden nun in einen Raum gebracht,
zur Reifung und Gestaltung,
bis zur Vollendung des Winters.
Jener Raum soll sein an einem Ort der Fügung,
eine Stasis im Strom des Limbus, zwischen den Welten
erreichbar für die, die das Symbol kennen.
Und dies sei der Fluch, mit dem zu öffnen das Symbol.
Mit Magie bestreiche die Keile, wirke den Zauber,
der Wanderschaft, der Reise, des Wechsels der Welt.
Und so soll gebären, am Tag des Frühlings,
der Raum der Fügung, zwischen den Welten,
die Kreaturen, jung und stark.
«
Uirolec sah wieder auf, schloss langsam das Buch, legte es auf den Tisch.
»Und was soll das jetzt heißen?«, fragte Tönnes.
Uirolec setzte sich an seinen Tisch. »Das heißt, dass die jungen Schatten an einem Ort der Fügung zwischen den Welten heranreifen. Einer Sphärenwelt. Druiden meines Stammes haben lange darüber spekuliert, ob es möglich ist, solche Welten selbst zu erschaffen. Offenbar ist es jenen Magiern gelungen.«
»Magier?« Alistair sah auf. »Wieso Magier?«
Uirolec fixierte den Gesichtstauscher mit den Augen. »Weil es Magier waren, die das Original dieses Buches geschrieben haben. Es wird
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