Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
gewesen, obwohl ihm durchaus bewusst war, dass wohl manch einer ihrer Ratschläge seinen Ursprung bei den Weisen genommen hatte.
Die Queen hatte seine Skepsis längst bemerkt. »Du machst einen Fehler, die Erfahrung der Weisen nicht für dich zu nutzen«, schalt sie ihn. Doch als er dazu ansetzte, sich zu rechtfertigen, schüttelte sie energisch den Kopf. »Nein, sag nichts. Du willst sie nicht um Rat fragen, und ich werde dich nicht dazu überreden. Ganz im Gegenteil, ich werde daraus Profit schlagen!« Ihre Augen leuchteten voller Übermut. »Dann musst du nämlich mit mir reden, und das bedeutet, dass ich die Rahmenbedingungen dafür festlegen darf! Du musst mich zum Essen einladen, ich will endlich mal wieder raus aus diesem Loch! Wir müssen feiern, dass du wieder zurück bist!«
Mickey starrte sie an, auf dem völlig falschen Fuß erwischt. »Äh«, machte er geistreich, »zum Essen?« Auch O’Neill, der Anführer der Queensguard, wirkte alarmiert und aufgeschreckt.
»Ja, zum Essen! Was möchten wir denn essen? Italienisch, wie beim letzten Mal? Oder indisch?«
»Ich kenne einen Asiaten in der Nähe …«, murmelte Mickey, der sich fühlte, als ob er von einem Zug überrollt worden wäre. »Aber … ist es denn gut, wenn Sie den Thronsaal verlassen?«
»Wer soll es mir verbieten?«, meinte sie schnippisch. »Ich bin die Queen! Und ich befehle dir: Geh mit mir aus!«
Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihrem Wunsch zu gehorchen.
Das
Sushi Corner
war ein asiatischer Schnellimbiss an der Ecke Nesttunvegen – Sandbrekkevegen im Zentrum des Stadtteils Paradis, praktisch direkt über dem Thronsaal der Queen gelegen. Die Gegend war früher, bevor Bergens Bevölkerung durch norwegische Landflucht und illegale Immigration auf seine grotesken heutigen Ausmaße angeschwollen war, eine Wohngegend gewesen,mit Einfamilienhäusern und Gärten. Heute reihte sich ein Wohnblock an den nächsten, in den Seitengassen sammelte sich zwischen provisorisch errichteten und längst zum Straßenbild gehörenden Wellblechhütten der Müll.
Der Nesttunvegen war nachts die klägliche Partymeile von Paradis. Es gab eine Diskothek, drei Kneipen, einen
McDonalds
und das
Shushi Corner
. Wo der Rest der Gegend menschenleer und verwaist war, tummelten sich hier auf der Straße Nachtschwärmer und Partytiere, Prostituierte und Drogendealer. Die Gangs hielten sich zurück – sie wussten, dass ihre Präsenz schlecht fürs Geschäft wäre, und holten sich deshalb tagsüber ihren rechtmäßigen Anteil von den Besitzern.
Die Queen hatte sich für einen Tisch an der Glasfront des Schnellimbiss entschieden und damit Mickey vor die Wahl gestellt, mit dem Rücken zum Eingang, zum Verkaufstresen oder zur Straße zu sitzen. Er entschied sich dafür, dass der Tresen das kleinste Übel darstellte, doch das half ihm nicht wirklich dabei, sich sicher zu fühlen. Er war nervös und rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, bis ihm die Queen schließlich befahl, die Plätze zu tauschen. Mit der Wand im Rücken war er sogleich entspannter. Unter den wachsamen Augen der Queensguard, die sich auf das
Sushi Corner
, die Straße und die Kneipe gegenüber verteilt hatte, aßen sie Frühlingsröllchen und Chop Suey und sprachen über belanglose Dinge. Erst nach dem Glas Pflaumenwein, das Mickey zum Abschluss bestellte, wagte er, das Gespräch wieder in Richtung Spider zu lenken.
»Du hast wirklich Angst vor ihm«, stellte die Queen fest.
Mickey zuckte mit den Schultern. »Er ist stark.«
»Stärker als du?«
»Das wird sich zeigen.«
Die Queen schüttelte den Kopf. »Wenn du dir nicht sicher bist, dass du gewinnst, darfst du es nicht darauf ankommen lassen. Der Clan braucht dich, weit mehr, als er Spider braucht.«
»Und wie soll ich das tun? Wenn er mich herausfordert, kann ich nicht ablehnen!«
»Denk darüber nach. Es ist nicht so schwer, Spider zu lesen!«
»Was meinen Sie?«
»Wir waren beim Du! Du weißt es nicht? Wie lange ist Spider nun schon in deinem Rudel?«
»Lange«, gab Mickey zerknirscht zu. »Aber ich werde nicht schlau aus ihm. Drei Viertel der Zeit ist er ein berechnender, eiskalter Bastard, aber dann hat er Momente, in denen er so weich wirkt wie Butter!«
»Und damit hast du Recht! Das ist Spider! Er hat zwei Seiten: zum einen den eiskalten Bastard – der sich aber jederzeit an den Code hält, nach dem wir Rattenmenschen leben. Der Code ist es auch, warum er es so gehasst hat, in Hamburg andere Ratten töten zu
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