Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Stoffhosen zum Vorschein, ein weites Hemd sowie einen langen, wattierten Mantel, der mit etwas gutem Willen als leichte Rüstung durchgehen konnte. Aus der Kiste mit dem Plündergut holte Gwezhenneg ein stählernes Kurzschwert, das Seog über den Mantel gurtete, sowie einen bronzenen Helm mit Schläfenschutz, den er sich vorerst noch unter den Arm klemmte. Die Speerspitze wurde an einem dafür bereitgehaltenen Schaft befestigt und rundete die Ausrüstung ab. Gwezhennegs Schild – ein schwerer, guter Rundschild mit eisernem Rahmen und stählernem Schildboss – würde dieser so lange selbst tragen, bis Seog ihn brauchte.
Inzwischen hatte sich vor dem Langhaus des germanischen Hauptmanns bereits das ganze Dorf versammelt. Sie standen in zwei Gruppen und diskutierten heftig darüber, wie es den Nain gelingen konnte, Trollstigen einzunehmen, ohne dass
Andraste
geläutet hatte, und um wie viele es sich wohl handelte. Das knappe Dutzend Germanenkrieger stand beisammen, jeder einzelne von ihnen gut ausgerüstet mit Schwertern oder Speeren. Ein paar trugen Helme, drei von ihnen gar Kettenhemden. Es waren überwiegend blonde, großgewachsene Männer mit breiten Schultern und schmalen Hüften, in deren eingefallene Gesichter der Hunger seine Spuren gezeichnet hatte, es waren Männer, die die letzten Wochen und Monate hart gearbeitet und nicht genügend gegessen hatten. Sie waren umringt von etwa zwei Dutzend Frauen, auch sie teilweise bewaffnet. Die zweite Gruppe war die der Kriegsgefangenen, etwa doppelt so groß wie die der Germanen, und auch hier gab es deutlich mehr Frauen als Männer. Sie trugen ärmliche Kleidung, ihre Ausrüstung bestand aus Haumessernund Bootshaken und Fischspeeren. Auch ihre Gesichter und Körper waren von harter Arbeit und Hunger gezeichnet, doch Seog fiel auf, dass sie nicht schlimmer dran zu sein schienen als ihre Herren.
»Wo sind die ganzen Männer?«, zischte er, nachdem er sich einen Überblick verschafft hatte.
»Tot«, murmelte Gwezhenneg. »Die Germanen hat der Dämon auf dem Fjord erwischt. Unsere Männer sind auf dem Kriegszug gefallen.«
Seog nickte. Sein Herz schlug aufgeregt. Der Zeitpunkt war gekommen, sich zu erkennen zu geben, das Wort zu ergreifen, die Männer davon zu überzeugen, ihm zu helfen. Doch Seog war kein Redner. Er war zu dumm dafür, hatte ihm Häuptling Nerin gesagt, und insgeheim wusste Seog, dass der Häuptling Recht hatte. Doch es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Immerhin wusste er, was eine gute Motivationsrede ausmachte: ein Eingang, der die Zuhörer fesselte – ein Mittelteil, der ihre Emotionen packte und mitriss – und ein Schluss, der sie motivierte. Schnell ging er die Silbernen Regeln durch, auf der Suche nach Anweisungen und Hilfestellungen.
Lasse nicht zu, dass jemand an deiner Ehre zweifelt
, war eine davon.
Im Zweifel sei zornig und schroff
, lautete eine weitere. Sie zielten darauf ab, seine Unsicherheit hinter einer Maske aus Wut und Unbeherrschtheit zu verbergen. Wie hatte sein Vater einmal gesagt?
Ein wütender Druide wird gefürchtet, ein dummer Druide dagegen nur verachtet.
Seog nickte. Er würde sich daran halten.
Er leckte sich noch einmal über die Lippen, bevor er mit weichen Knien auf die Gruppe der Germanen zuging. Er umklammerte das Heft seines Kurzschwertes so sehr, dass seine Fingernägel in seine Handfläche einschnitten, doch er spürte es kaum. Er sah nur die Männer vor sich, kräftige, selbstbewusste Kerle, Germanenkrieger, die die Stimmen in seinem Hinterkopf Zeter und Mordio schreien ließen.
Die Ersten bemerkten ihn. Gespräche wurden mitten im Satz abgebrochen, Köpfe deuteten in seine Richtung. Augenbrauenwurden misstrauisch zusammengezogen, manch eine Hand wanderte zum Griff einer Waffe.
»Wer seid Ihr?«, fragte einer von ihnen auf Norrøn.
»Wer ist euer Anführer?«, fragte Seog schroff.
Nun verstummten auch die restlichen Gespräche. Blicke wurden ausgetauscht, zusammengekniffene Augen hasteten über seinen Körper und versuchten ihn einzuschätzen. Seog fühlte sich klein und unwürdig, obwohl er die meisten der Germanen um einen halben Kopf überragte.
»Ich bin ihr Anführer«, erklärte eine Stimme tiefer in der Menschenansammlung. »Mein Name ist Gautrek.« Die norðmenn zwischen ihm und Seog wichen zurück und bildeten eine Gasse. Der Mann an ihrem Ende war ein sehniger Kerl von etwa fünfundzwanzig Jahren, fast so groß wie Seog selbst. Er trug einen schmucklosen Helm unter dem Arm, sein
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