Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
war der Rest ein Kinderspiel. Mühsam stemmte er sich hoch und kletterte mit knackenden Gelenken aus der Kiste.
Er befand sich in einem Erdloch, unregelmäßig geformt und auf einer Seite von etlichen Wurzeln durchstoßen. Zur anderen Richtung war das Loch offen und gab den Blick auf einen mit Kiefern bewachsenen Berghang frei. Leiser Nieselregen fiel aus einem grauen Himmel, hin und wieder hörte er das Korksen eines Raben oder das Keckern einer Elster.
Es war kalt, stellte Seog fest. Sein ganzer Körper war bereits von einer Gänsehaut überzogen. Mit Überraschung traf ihn eine weitere Erkenntnis: Er war nackt. Man hatte ihn nackt in diese Kiste gesteckt. Aber wozu?
Er warf noch einmal einen Blick hinein.
Aha!
Der Stoff, auf dem sein Kopf gebettet gewesen war, hatte gar nicht zu einem Kissen gehört, sondern zu einer groben Hose und einem ebenso groben Hemd aus Wolltuch. Er schlüpfte hinein und stellte fest, dass ihm die Kleider ein gutes Stück zu klein waren, fast so wie die Kiste. Die Hosenbeine endeten knapp unterhalb seiner Knie, das Hemd spannte eng über seine Brust. Seog befürchtete, dass die Nähte aufplatzen würden, sobald er einmal tief einatmete.
Er stieg aus dem Erdloch und sah sich um. Rings um ihn herum war Wald, überall dunkelgrüne, flechtenbehangene Kiefern, nur hier und da von einer Birke oder einer verkrüppelten Bucheunterbrochen. Der Hang fiel steil hinab zum Ufer eines Fjordes, des Romsdalsfjordes, wie Seog vermutete. Hier und da stiegen dünne Rauchfahnen in den Himmel.
Und das war alles. Keine Leute. Kein Pfad. Kein Menhir oder anderer Hinweis darauf, dass in dem von einer umgestürzten Kiefer gerissenen Erdloch ein Druide begraben worden war.
Er stieß einen lauten Seufzer aus. Er fühlte sich einsam. Einsam und traurig, denn er hatte keinen blassen Schimmer, wie er mit seiner Situation umgehen sollte. Stetig fiel der Regen auf ihn herab und durchnässte seine Kleider. Er fröstelte, als er langsam auskühlte, doch das störte ihn kaum, zu sehr war er mit sich selbst beschäftigt. Kälte hatte ihm noch nie viel ausgemacht. Kälte war nicht gemein. Kälte war nicht böse.
Menschen
waren böse. Kälte war einfach nur da.
Es ist ein Rätsel
, beschloss Seog schließlich nach einiger Zeit des Grübelns. Er lächelte kurz. Das war gut, für ein Rätsel galten schließlich ganz bestimmte Regeln.
Bist du dir nicht sicher, wie ein Rätsel zu lösen ist,
hörte er die Stimme seines Vaters in seinem Kopf,
dann verschaffe dir mehr Informationen. Ein Rätsel ohne genügend Informationen lösen zu wollen funktioniert nur im Spiel, nicht im Leben.
Es war eine der Silbernen Regeln, die ihm seine Eltern beigebracht hatten. Seog musste sich mehr Informationen verschaffen. Dabei half ihm sogleich eine weitere Silberne Regel:
Der Mensch weiß sehr viel. Nur hat er manchmal vergessen, dass er es weiß.
Also setzte er sich auf das Holz des Kistendeckels und versuchte sich daran zu erinnern, was geschehen war.
Er war irgendwo am Romsdalsfjord in einer Kiste vergraben worden. Er, ein Druide. Das war nicht logisch, Druiden wurden normalerweise verbrannt oder mit reichen Grabbeigaben beerdigt, in einer großen Zeremonie im Heiligen Hain auf der Insel Sekken. Aber das hier war nicht die Insel Sekken, denn die hatte er mittlerweile im Fjord erspäht. Also hatten ihn wohl seine Feinde begraben. Aber warum dann die Kiste? Warum an einer so entlegenen Stelle? Das Grab war ja hier oben richtiggehend versteckt!
Aha!
, dachte Seog mit einem Lächeln. Es war ein Versteck! Jemand hatte ihn hier begraben, weil er nicht wollte, dass man ihn fand. Vielleicht, weil er nicht wollte, dass man herausfand, dass man ihn umgebracht hatte. War das logisch? Seog war sich nicht sicher. Schließlich erklärte das immer noch nicht die Kiste und auch nicht die Kleidungsstücke darin. Es war fast so, als ob derjenige, der ihn hier begraben hatte, damit gerechnet hatte, dass Seog irgendwann aufwachen und zurückkommen würde. Ja, das schien zu passen. Die Kiste war ja nur sehr flach eingegraben gewesen, und mit den Kleidern war er nun auch nicht mehr nackt.
Ha! So schwer war das Rätsel nun gar nicht zu lösen gewesen! Mit sich selbst zufrieden ballte er die Hand zur Faust.
Er warf noch einmal einen Blick in die Kiste, ob sich vielleicht noch mehr darin befand, doch diese war nun bis auf den Sand leer. Seog zuckte mit den Schultern, kletterte aus dem Loch und begann die Bergflanke hinabzusteigen.
Er kam nicht weit, ehe er
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