Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Fürsten?
Die Silbernen Regeln, Seog. Denke an die Silbernen Regeln!
Er nickte. Die Silbernen Regeln. Natürlich. Auch das hier war ein Rätsel, das es zu lösen galt. Er brauchte mehr Informationen. Wer wusste schon, ob das, was er sich da zusammengesponnen hatte, auch tatsächlich stimmte? In seiner Kindheit und Jugend, bevor man den magischen Funken in ihm entdeckt hatte, der ihn zum Druiden machte, war Seog oft genug als dumm und tölpelhaft verspottet worden.
Se-og Og-se
, hatten ihm die Kinder in Kêr Bagbeg früher oft hinterhergerufen.
Se-og Og-se, Se-og Och-se
. Natürlich nur, wenn sie zu dritt oder zu viert waren, denn Seog war schon als Kind groß und kräftig gewesen.
Wachsen
, das hatte sein Vater einmal gesagt,
konntest du schon immer gut.
Es hatte ihn vor allzu bösartigen Drangsalierungen bewahrt.
Doch die Kinder hatten nicht ganz unrecht gehabt. Einmal, nach einer besonders heftigen Prügelei, weil sie ihn erneut als Ochsen beschimpft hatten, war er nach Hause gelaufen und hatte seine Mutter direkt darauf angesprochen.
»Mama, bin ich dumm?«, hatte er gefragt.
Sie hatte ihn entsetzt angesehen und gefragt: »Hast du dich schon wieder mit den anderen Kindern gerauft?«
Seog hatte zu Boden gesehen, weil er genau wusste, dass sie ihm das verboten hatte. »Ja.«
Ein harter Ausdruck war in ihr Gesicht getreten, wie immer, wenn sie unzufrieden war mit ihm. »Setz dich draußen auf die Bank und arbeite!«, hatte sie streng gesagt. »In der Kiste sind noch Netze, die geflickt werden müssen.«
Mit hängendem Kopf hatte er eines der Netze aus der Kiste gezerrt und sich draußen an die Arbeit gemacht. Tränen waren ihm in die Augen gestiegen, weil ihn die anderen Kinder nicht leiden konnten und weil seine Mutter ihm zürnte. Er hatte geweint, still und leise, und erst gemerkt, dass sich sein Vater neben ihn gesetzt hatte, als ihm dieser die Hand auf die Schulter gelegt hatte.
»Wir müssen reden, Junge«, hatte sein Vater gesagt.
Und dann hatte er mit ihm das Gespräch geführt, das für immer sein Leben verändern sollte. Er hatte ihm nicht gesagt, dasser dumm war, nicht direkt. Aber er hatte ihm so vorsichtig und feinfühlig wie möglich beigebracht, dass er nicht so war wie die anderen Jungen. »Seog«, hatte ihm sein Vater gesagt, »du bist kein schneller Denker. Du brauchst viel länger als die anderen, und deshalb halten dich die anderen für dumm. Aber das bist du nicht. Wenn du dir Zeit nimmst und sorgfältig darüber nachdenkst, findest du die Antworten auf deine Fragen.«
Im Anschluss daran hatten seine Eltern begonnen, ihm die Silbernen Regeln beizubringen. Sie hatten ihm stets geholfen, wenn er sich unsicher war, wenn er vermutete, dass seine langsamen Gedanken ihm ein weiteres Mal im Wege standen.
Und deshalb brauchte er nun jemanden, mit dem er sprechen konnte. Jemanden, der ihm sagen konnte, was sich in den letzten Monaten zugetragen hatte, der wusste, wie die Machtverhältnisse nun standen. War es wirklich so, dass jetzt die Germanen über den Fjord herrschten? Wie erging es den Bretonen in ihrer Kriegsgefangenschaft? Wie konnte Seog ihnen helfen? Hatten noch andere Druiden überlebt? Er musste mit einem der kriegsgefangenen Bretonen reden. Das wiederum barg das Risiko, dass sich einer von ihnen bei den Germanen verplapperte – oder ihn gar bewusst verriet, in der Hoffnung auf Gefälligkeiten ihrer Herren. Seog musste jemanden finden, dem er vertrauen konnte. Doch wen kannte er in Ilan Keoded?
Er wusste, dass die Druiden Padern und Karanteq hier gelebt hatten, doch die beiden waren vermutlich tot. Die Germanen hätten niemals irgendwelche Druiden am Leben gelassen. Angestrengt dachte Seog zurück und erinnerte sich an zwei Brüder, mit denen er in der Schlacht von Espeland gekämpft hatte, Brelivet und Gwezhenneg. Brelivet hatte zu Seogs Leuten an der Furt gehört, wo er wahrscheinlich wie alle anderen gefallen war. Aber was war mit Gwezhenneg? Lebte er noch?
Seog beschloss abzuwarten. Falls tatsächlich die Germanen zurückgekehrt waren und die Herrschaft über den Romsdalsfjord an sich gerissen hatten, schwebte er in Lebensgefahr. Sie durften niemals erfahren, dass einer der bretonischen Druiden überlebthatte. Deshalb wäre es töricht, noch vor Einbruch der Dunkelheit etwas zu unternehmen. Bis dahin würde er beobachten und Informationen sammeln. Er zog sich etwas tiefer in den Wald zurück und machte es sich unter den dichten Zweigen einiger junger Fichten so gut es ging
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