Schattenfreundin
herunter. Einerseits war sie erleichtert, dass die Beerdigung nun vorbei war, andererseits konnte sie die lebhafte Atmosphäre in dem Raum kaum ertragen. Es dauerte nicht lange, bis das erste Bier bestellt wurde und Anekdoten aus der Vergangenheit die Runde machten.
»Er hat das Leben geliebt«, sagte ein alter Freund ihres Vaters gerade.
»Ja, er hat es in vollen Zügen genossen«, sagte ein anderer. »Ein Kongress ohne Franz war nur halb so aufregend.«
»Und er hatte die beste und verständnisvollste Frau, die er sich nur wünschen konnte«, sagte ein dritter und drückte ihre Mutter an sich.
»Ich muss hier raus«, raunte Katrin Thomas zu.
»Das kannst du nicht machen«, flüsterte er zurück. »Es kann nicht mehr lange dauern. Bald hast du es geschafft.«
Die Minuten zogen sich schier endlos hin, und als sie schließlich neben Thomas auf den Beifahrersitz sackte, seufzte Katrin aus tiefstem Herzen. »Das war der schlimmste Tag in meinem Leben.«
Thomas strich ihr über die Wange. »Pass auf, ich lese Leo gleich sein großes Märchenbuch vor, und du nimmst erst mal ein heißes Bad. Okay?«
»Ja. Das wäre schön.«
Um kurz vor vier waren sie zu Hause. In einer Viertelstunde würde Tanja Leo zurückbringen, das hatten sie verabredet. Katrin ließ schon mal Badewasser ein. Sie würde ein Lavendelbad nehmen, das würde sie entspannen und den Druck des ganzen Tages von ihr nehmen. Schnell färbte sich das Wasser lila.
Zum ersten Mal an diesem Tag atmete Katrin tief durch. Leo würde gleich wieder da sein, Thomas würde sich um ihn kümmern, und sie konnte sich in ein Schaumbad legen und endlich ein wenig abschalten.
Um halb fünf war Leo immer noch nicht da.
»Nun leg dich doch in die Wanne«, sagte Thomas. »Leo wird jeden Augenblick hier sein.«
Aber Katrin zögerte. Sie wollte auf jeden Fall warten, bis Leo wieder zu Hause war. Dann würde sie ihn erst mal umarmen und an sich drücken und überprüfen, wie hoch sein Fieber war.
Als er eine halbe Stunde später immer noch nicht zu Hause war, fing Katrin ernsthaft an, sich Sorgen zu machen.
»Die spielen irgendwas und haben die Zeit vergessen«, sagte Thomas beruhigend.
»Und wenn es ihm schlechter geht?«, entgegnete Katrin. »Vielleicht hat er hohes Fieber bekommen, und sie mussten zum Arzt! Ich rufe Tanja an.«
Sie nahm ihr Handy und wählte Tanjas Nummer.
»Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben«, sagte eine automatische Stimme.
Katrin sah irritiert auf das Display. Hatte sie die falsche Nummer gewählt? Nein, es war dieselbe, unter der sie Tanja heute Morgen erreicht hatte. Katrin versuchte es noch einmal. Wieder war nur die automatische Stimme zu hören.
»Wahrscheinlich hast du sie falsch gespeichert«, sagte Thomas, und obwohl Katrin wusste, dass das nicht sein konnte, rief sie die Auskunft an.
»Eine Tanja Weiler habe ich im ganzen Stadtgebiet nicht«, sagte eine Frau mit freundlicher Stimme. »Auch keine T. Weiler . Tut mir leid. Vermutlich hat die Person sich nicht im Telefonbuch registrieren lassen.«
Langsam wurde Katrin nervös.
»Du weißt nicht, wo sie wohnt?«, fragte Thomas. »Wie kann das denn sein?«
»Wir haben uns immer auf dem Spielplatz getroffen oder hier bei uns«, entgegnete Katrin. »Weil sie noch die Handwerker im Haus haben. Aber warte. Ich hab eine Adressliste vom Kindergarten.«
Wenig später hielt sie den Zettel in der Hand. »Ben Weiler, Ratsstraße 78. Das ist ja nicht weit von hier.«
Sofort setzte Katrin sich ins Auto. Thomas blieb zu Hause, damit jemand da war, falls Leo in der Zwischenzeit gebracht werden sollte.
Langsam fuhr sie durch die Ratsstraße. Ihr Herz raste, und sie überlegte krampfhaft, aus welchem Grund Leo nicht nach Hause gekommen sein könnte. Tanja war sehr zuverlässig. Aber was war mit ihrem Handy? Vielleicht hatte man es ihr gestohlen … Vielleicht waren Tanja und Leo überfallen worden … Unsinn! Oder vielleicht war Leos Fieber dramatisch gestiegen, sodass Tanja mit ihm in die Klinik musste. Aber dann hätte Tanja ihr doch eine Nachricht hinterlassen! Und wenn sie das nicht mehr konnte? Wenn sie mit Leo einen Unfall hatte?
Katrin stöhnte erleichtert auf, als sie den schwarzen BMW in der Auffahrt eines Hauses stehen sah. Wahrscheinlich hat Thomas recht, und die haben beim Spielen die Zeit vergessen, dachte sie und parkte am Straßenrand.
Sie spürte eine unendliche Last von sich abfallen, als sie lautes Kinderlachen aus dem Haus hörte. Lächelnd klingelte sie
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