Schattenfreundin
einfach mal so anrufen möchtest …«
Er sah sie erwartungsvoll an. Seufzend zog Charlotte eine Karte aus der Tasche und gab sie ihm. »Jetzt muss ich aber wirklich weiter.«
Als Charlotte zurückkam, wartete Peter Käfer schon ungeduldig.
»Ich hoffe, du hast heute Abend noch nichts vor«, sagte er.
»Warum?« Charlotte ahnte Schlimmes.
»Wir müssen gleich los. Ein dreijähriger Junge ist verschwunden, Verdacht auf Entführung.«
»Wie lange ist er schon verschwunden?«
»Gute acht Stunden.«
»Wie bitte!? Die Eltern melden erst nach acht Stunden, dass ihr Kind verschwunden ist? Wie kann das denn sein?«, fragte Charlotte entsetzt.
»Sie waren auf einer Beerdigung und hatten ihren Sohn einer befreundeten Frau anvertraut. Und die ist verschwunden. Mit dem Kind«, sagte Käfer.
»Wenn die Eltern mit der Frau befreundet sind, dürfte es doch kein Problem sein, den Aufenthaltsort des Jungen ausfindig zu machen, oder?«
»Es ist alles ein bisschen komplizierter. Die befreundete Frau, eine gewisse Tanja, hat offenbar unter falschem Namen bei einer anderen Familie als Kindermädchen gearbeitet. Und jetzt ist sie verschwunden, und mit ihr der kleine Junge.«
»Fahren wir als Erstes zu den Eltern?«, fragte Charlotte.
Peter nickte. »Ja, und dann zu der Familie, in der die Frau als Kindermädchen gearbeitet hat. Sobald klar ist, dass der Junge wirklich entführt worden ist, richten wir einen Einsatzstab ein. Aber vielleicht ist das Ganze auch nur ein dummer Streich.« Er seufzte. »Hört sich aber irgendwie nicht so an.«
»Mit deinem Wagen oder mit meinem?«, fragte Charlotte.
Er sah sie entrüstet an. »Mit meinem natürlich. Frau am Steuer …«
»Schon gut!« Charlotte schüttelte den Kopf und verkniff sich eine Bemerkung zu seinen ewig gestrigen Ansichten über Frauen. »Was ist mit Lösegeldforderungen?«, fragte sie, während sie zu Käfers Wagen gingen.
»Bisher nichts.«
Charlotte setzte sich ins Auto und schnallte sich an. Sie hasste Fälle, in denen ein Kind das Opfer war. Egal, ob Missbrauch, Entführung oder gar Mord – sobald ein Kind im Mittelpunkt eines Verbrechens stand, kämpften alle Beteiligten sehr viel stärker mit Emotionen als sowieso schon. Nicht nur die Eltern und Verwandten, sondern auch die ermittelnden Beamten. Besonders die Kollegen, die selbst Kinder hatten, taten sich schwer, die Ermittlungen mit der gewohnten objektiven Distanz und der nötigen Routine zu führen.
Keine zwanzig Minuten später parkte Käfer seinen Wagen vor dem Haus von Thomas und Katrin Ortrup.
»Keine schlechte Gegend«, sagte Charlotte und schaute sich um. Links und rechts der Straße standen Einfamilienhäuser auf großen, gepflegt wirkenden Grundstücken. Alles ein bisschen zu sauber und zu adrett, irgendwie leblos, dachte sie. An den Fenstern des Hauses links neben dem der Ortrups entdeckte Charlotte Spitzengardinen. Wahrscheinlich mit Stecknadeln in Form gehalten. Mit Schaudern erinnerte sie sich daran, dass ihre Mutter so etwas auch geliebt hatte.
»Das sagt ja bekanntlich gar nichts«, entgegnete Käfer.
»Das weiß ich.« Charlotte zog genervt die Augenbrauen hoch. »Jetzt lass mal die Umgebung einen Moment lang auf dich wirken, und dann sag mir, was du siehst.«
»Jawohl, Frau Psychologin.« Käfer grinste und betrachtete das Haus der Ortrups.
»Und?«, fragte Charlotte nach einer Weile.
»Das Haus sieht frisch renoviert aus. Entweder sind sie gerade erst eingezogen, oder sie hatten die Handwerker da.«
»Keine Vorhänge an den Fenstern, im ersten Stock rechts sieht man hinter dem Fenster Umzugskisten stehen«, sagte Charlotte. »Vermutlich sind sie gerade erst eingezogen.«
Käfer nickte. »Das Haus ist relativ groß, das Grundstück hat bestimmt achthundert Quadratmeter, würde ich schätzen. Finanziell scheint es der Familie also nicht schlecht zu gehen. Dafür sprechen auch die beiden Autos, die vor der Garage stehen … Also ein realistisches Ziel für einen erpresserischen Menschenraub, oder?«
Charlotte nickte. »Die Häuser links und rechts sehen sehr gepflegt aus. Die Menschen, die dort leben, kümmern sich darum, auch um den Vorgarten. Da werden sie eine Menge mitbekommen, was sich in der Nachbarschaft so tut.«
»Stimmt. Wer regelmäßig seine Hecke schneidet, guckt auch regelmäßig drüber«, sagte Käfer.
»… und hat vielleicht etwas gesehen«, fügte Charlotte hinzu. »Wenn es eine geplante Entführung war, können wir nicht ausschließen, dass es einen oder mehrere
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