Schattenfürst - Landers, K: Schattenfürst
von ihr zu erfahren, was sie derart in Angst versetzte. Weißer Nebel umhüllte das Schloss und ging nahtlos in einen weißen Schneeteppich über. Am Himmel zogen Krähen krächzend ihre Kreise. Marek drosselte das Tempo, als sie in die breite Schlossauffahrt bogen.
Karolina sah zum Fenster der Kutsche hinaus. Die kahlen Äste bogen sich durch das Gewicht der Eiszapfen.
Marek stoppte vor dem Dienstboteneingang.
„Danke.“ Karolina verließ die Kutsche. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln. Sie verharrte einen Moment und sah zur Spitze der imposanten Schlossmauern auf. Die schwarzen Fenster glotzten feindselig auf sie herab. Es herrschte Grabesstille. Jeder Laut schien von den massiven Mauern erstickt zu werden. Wein rankte sich zu ihrer Rechten bis ins höchste Stockwerk empor, blattlos, wie skelettierte Finger, die das Gebäude würgten. Selbst die kahlen Bäume schienen von Leblosigkeit zu zeugen, wie alles auf diesem Anwesen.
„Du kannst dir ruhig ein wenig Zerstreuung suchen“, gestattete sie dem jungen Kutscher und warf ihm eine Münze zu. „Am Nachmittag gegen fünf fahren wir zurück. Ich werde hier auf dich warten. Sei pünktlich.“ Er nickte, schnalzte und das Pferd fiel in einen gemächlichen Trab.
Karolina pochte mit der Faust gegen die massive Eichentür. Es dauerte einen Moment, bis sich schlurfende Schritte näherten. Mit einem lauten Knarren öffnete sich die Tür, und ein hageres Mädchen mit schiefen Zähnen stand vor ihr. Sie knickste und fragte Karolina nach ihrem Wunsch. Ihr bleiches Gesicht ähnelte einer Toten.
„Ich bin Baroness von Kocian und möchte Adela besuchen. Ist sie nicht daheim?“
Karolina spähte über die Schulter der Hageren in den dahinter liegenden, schmalen Flur.
„Doch, Baroness. Ich bringe Euch zu ihr.“ Mit der Kerze in der Hand schritt sie voran.
„Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.“
Das Kleid des Mädchens war über den Hüften zu weit, der Rock an vielen Stellen ausgebessert. Ein Teil des Spitzensaumes schleifte hinter ihr her. Daraus schloss Karolina auf Geiz bei der Gräfin.
Sie liefen einen langen, dunklen Korridor entlang, in dem es muffig roch. Es existierte kein Fenster, durch das Helligkeit hätte dringen können. Holzwürmer hatten sich durch die hölzernen Wände gefressen.
Am Ende des Korridors befand sich eine schmale Stiege, deren Stufen ausgetreten waren. Ein kühler Hauch wehte ihnen entgegen. Irgendwo tropfte Wasser in gleichmäßigem Rhythmus auf Metall. Karolina konnte nicht glauben, dass Adela sich hier wohlfühlte.
Die Stufen knarrten unter ihren Füßen. Die drachenköpfigen Treppenknäufe wirkten im fahlen Licht der Kerze wie Boten einer anderen Welt.
Oben angekommen, bog die Hagere in einen Seitenflügel ab. Keine Stimmen, kein fröhliches Gelächter drangen zu Karolina. Es herrschte nur Stille. Wie anders war es da auf dem heimatlichen Gut. Selbst der steife Anton lachte, wenn die dicke Köchin Berta die Suppe versalzen hatte.
Die Hagere blieb vor einer Tür stehen und klopfte an.
„Adela, Besuch für dich!“
Sie drückte die Klinke hinunter und trat, gefolgt von Karolina, ein. Dieses Zimmer strahlte die gleiche düstere Stimmung wie die Korridore aus. An der Seite stand ein riesiges Himmelbett aus Ebenholz. Scharlachrote Bettwäsche im Kontrast zum schwarzen Bettgestell, auf dessen Kopfkissenbezug eine zusammengerollte Schlange prangte, erinnerten sie an den Kettenanhänger der Mutter.
Adela saß auf einem Hocker und malte bei Kerzenschein, eine ihrer Leidenschaften. Ihr Kopf fuhr hoch, als die beiden Frauen eintraten. Ein warmes Lächeln erhellte ihr Gesicht. Sofort legte sie den Pinsel beiseite und sprang auf, um die Freundin zu begrüßen. Der Blick der Hageren flog von einer zur anderen.
„Danke, Margareta“, sagte Adela zu ihr, woraufhin diese das Zimmer verließ.
„Ich glaube es nicht! Karolina, ich freue mich so, dich zu sehen!“ Wenn die beiden sich unbeobachtet wähnten, benutzten sie die vertrauliche Anrede. Adela presste Karolina an sich.
„Ich mich auch, Adela.“
„Es ist schrecklich hier. Während der letzten Tage zog sich die Gräfin wegen Migräne zurück und schickte mich auf mein Zimmer. Sie bedürfe meiner Dienste erst am Abend, sagte sie. Diese verdammte Warterei, noch dazu im Dunkeln. Den lieben langen Tag müssen die Vorhänge im ganzen Schloss geschlossen bleiben. Weil sich sonst durch das Tageslicht ihre Migräne verstärken könnte. So muss ich die Nacht zum Tag machen. Dabei
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