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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Rouven
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fast zu Boden, hält sich an der Häuserwand fest. Ein Geruch von Fäule steigt in ihre Nasen.
    „Hey, was soll das?!“ schreit Lisa, aber der Mann dreht sich nicht um. Er trägt einen langen, schwarzen Mantel mit Kapuze, die seinen Hinterkopf versteckt. Große Schritte auf dem Asphalt. Bald ist er verschwunden.
    „Alles klar“, sagt Vincent, „Nehmen wir die Verfolgung auf. Der darf nicht ungestraft davon kommen.“
    Er ist schnell und die Kinder haben Mühe Schritt zu halten. Viele Straßen und Gassen. Weiß der Mann etwa Bescheid und will von seinem Ziel ablenken? Doch Detektive lassen sich nicht verwirren. Folgen und folgen.
    „Lass uns lieber nicht da rein gehen“, sagt Lisa schließlich, „Ich hab´ so ein komisches Gefühl.“
    „Du Angsthase. Jetzt können wir wirklich zeigen, was für Geisterjäger wir sind. Also, kommst du?“
    Widerwillig folgt sie ihrem besten Freund zum Eingang des Friedhofs, den der Mann soeben geöffnet hat.

    III
    Kahle Baumkronen ragen über die Köpfe der Kinder hinweg. Ihre Äste scheinen nach allen Lebewesen zu greifen. Ein Festhalten für die Ewigkeit. Es flattert und raschelt in allen Gebüschen. Nur gut, dass es noch hell ist.
    „Wo ist er?“ flüstert Lisa. Ihre Lippen zittern und die ewige Ausgeglichenheit ist verschwunden. Hier will sie nicht sein. Gruselfans gut und schön, aber die Fantasie malt sicherere Bilder als die Realität.
    „Er ist durch das Gebüsch gegangen.“
    Vincent schleicht über die Straße, dreht sich um, zieht eine Grimasse und hält sich die rechte Hand an die Stirn.
    „Ach, was ich vergessen habe...“, raunt er und lacht leise.
    „Das ist nicht witzig.“
    Sofort gesellt Vincent sich neben seine Freundin und bietet ihr einen Arm an.
    „Haste etwa Angst?“ Sie nickt. „Bist eben doch nur ein Mädchen.“
    Dann läuft er schnell hinüber zur Stelle im Gestrüpp, durch das der Mann verschwand und zwängt sich an dünnen Ästen vorbei, die ihm die Jacke zerreißen wollen. Es raschelt laut. Die Enttäuschung schon erwartend, erblickt Vincent den Mann an einem frischen Grab, nicht viele Meter vom Beobachter entfernt. Er hat sich auf die Knie nieder gelassen und bewegt seine Arme.
    „Es sieht aus, als ob er rudert“, sagt Lisa. Die plötzliche Berührung einer Handfläche auf Vincents Schulter, lässt ihn zucken. „Na, wer hat jetzt Angst...“, lächelt sie. Vincent knurrt.
    „Pscht“, sagt er, „Er rudert nicht. Er gräbt.“
    Ein Schwarm Vögel erhascht ihre Aufmerksamkeit. Aufgescheucht von irgendwas fliehen sie gen Himmel, immer weiter, bis schwarze Punkte bleiben. Lisa stellt sich vor, einer von ihnen zu sein. So weit hoch fliegen, dem Mann entfliegen können, wenn er sie entdeckte.
    „Er schaut her.“
    Tatsächlich hat sich der Mann nun umgedreht. Aber er lauscht der neugeborenen Stille. Einige Äste mit Tannenbewuchs schützen die Schnüffler.
    „Ist der hässlich.“
    „Pscht.“
    Seine Nase ist eingefallen. Dort, wo sie hinaus ragen soll, klafft ein Loch. Im Schatten seiner Kapuze besitzen die Augen, deren Farbe nicht sichtbar ist, unglaubliche Ringe, bis tief zur Wange grabend, schwarz und ungesund, als hätte er Wochen nicht geschlafen. Seine Lippen sind zersplitterte Schlitze auf einem kargen, knochigen Gebiss. Die Farbe des Fleisches ist verblichen, anscheinend war sie mal weiß, jetzt nur noch Asche.
    Seine zu Fäusten geballten Hände erschlaffen und lassen Erdbrocken zu Boden fallen. Der Mann hat schon einen beachtlichen Haufen aus dem frischen Grab gehoben. Für die kurze Zeit, in der er von den Kindern nicht gesehen wurde, ungewöhnlich dazu.
    „Das bringt doch nichts“, sagt er leise. Seine Stimme ein Krächzen, ein sonores Wispern. Dann dreht er sich erneut, geht links am Grab vorbei, durchs nächste Gebüsch.
    „Wir müssen ihm folgen“, sagt Vincent, „Das ist echt gruselig.“
    „Ich weiß nicht.“
    Lisa zittert so sehr, dass sich ihre Nägel in den Stoff der Jacke krallen. Ihr kommt es so vor, als sei sie ein ganz kleines Kind, vielleicht ein Baby, das nach Hause will. Ja, nach Hause, in die Sicherheit. Nie wieder rausgehen.
    Bist du ein Angsthase, denkt sie, Monster gibt´s nicht wirklich. Der Mann ist vielleicht seltsam, aber wahrscheinlich wollte er nur prüfen, wie alt das Grab schon war, ob man es erneuern müsste, vielleicht hat er getrauert über einen Verlust und hat aus Schmerz die Erde hinaus gerissen, vielleicht...
    „Komm´ schon. Gleich ist er weg und dann werden wir uns ewig fragen,

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