Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
Mädchen ist verblutet.“
Er sah, wie Anastasia die Arme auf den Sessel stützte, damit das Atmen leichter würde. Sie war schwer krank. Aber ihre Anschuldigungen waren lächerlich. Selbst wenn er derjenige gewesen wäre, woher hätte sie das wissen sollen?
Trotzdem spürte er etwas wie Schweiß auf der Haut. Nur klebriger. Er nahm den Zeitungsausschnitt unter die Lupe.
„Du musst verrückt sein, Walid. Wozu hast du studiert, die Schule besucht?“
Sein Stuhl begann zu schwanken.
Irgendwann hatte es ja so kommen müssen. Viele starben daran. Er hatte das bisher allerdings noch nicht erlebt. Verdammt, die Kuh hatte recht. Oder?
Der Ort stimmte nicht. Kein Mädchen aus Kairo! Das wäre viel zu gefährlich gewesen.
Die Polizei geht davon aus, dass die Beschneidung in Kairo stattgefunden hat. Auch wird vermutet, dass ein Arzt den Eingriff vorgenommen hat. Der Vater will von dem Eingriff nichts gewusst haben.
„Meine älteste Tochter hat sich um solche Dinge gekümmert. Sie hat die Kleine umgebracht!“ Doch die Schwester des Opfers ist spurlos verschwunden. Der Vater wurde vorläufig verhaftet.
„Walid, ich werde der Polizei von dir erzählen. Es sei denn, du übernimmst das selbst. Wie du weißt, ist das strafmildernd.“
Jetzt erst verstand er, was sie wirklich wollte. Seine Hände zitterten.
„Willst du Geld?“
„Du gibst es also zu?“
„Nein! Also willst du Geld?“
Wieder kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Spray. Dabei fiel eine Tablettenschachtel heraus. Clopidogrel. Sie muss einen Herzinfarkt gehabt haben, dachte Walid.
„Ich möchte, dass du dich selbst anzeigst, du Schwein.“
Das Zittern verstärkte sich, doch dann wurde er ruhig. Wahnsinnig ruhig. Er schaute sich um. Was tat er hier?
Plötzlich hustete sie wieder, begleitet von pfeifendem Atem.
Er lachte.
„Ich soll ein Mädchen umgebracht haben? Du träumst, Anastasia.“
Sie hustete stärker und ihr Gesicht lief rot an. Das war das Symptom, vielleicht hatte er Glück.
„Ich will nicht, dass noch ein Mädchen sterben muss. Ich habe schon viel zu lange gewartet.“
Wieder hustete sie. Ihr Atem war röchelnd. Sie stand auf und schenkte sich Wasser ein.
Am nächsten Tag lief Anastasia über die Straße des 26. Juli, um sich etwas Obst zu besorgen und einen Tee in ihrem Lieblingsbuchladen zu trinken.
„Anastasia?“
Es war ein spitzer Schrei aus einem Auto heraus. Ihre Schwester hatte sie trotz ihrer Verkleidung erkannt.
Hysterisch zog Nadja sie in den Wagen und brachte sie zu sich nach Hause.
„Ich wusste, dass du krank bist, ich wusste es!“
Ihre Schwester bestand darauf, noch einmal nach Zamalek zu fahren, um sich um das Gepäck der Schwester zu kümmern und die Hotelrechnung zu zahlen.
Anastasia legte sich schlafen. Einige Stunden später wurde sie von einem Klingeln geweckt.
Walid spürte den Keim der Erleichterung, als er vom Tode Anastasias hörte. Gerade noch rechtzeitig. Heute war der dritte Tag. Sie musste wahnsinnig gewesen sein, ihm nachzustellen.
Damals hatte ihn das erregt, diese Irrationalität, dieses leise, hohe, irre Lachen. Er hatte sie haben wollen, ganz. Und dabei störte es ihn nicht, dass sie älter als er war. Ganz im Gegenteil. Verdammt, er hatte sich selbst nicht verstanden, damals.
Etwas störte ihn an seinen Gedanken. Ah, er war dabei, zu Mittag zu essen. Wie war das Lamm in seinen Mund gekommen?
Sich selbst hatte er vormachen wollen, dass er es nur aus beruflichen Gründen mit ihr getrieben hatte. Er war sich damals so sicher gewesen, dass sie mitmachen würde. Stattdessen war er bei ihr sofort unten durch gewesen.
Immer packte er es falsch an. Nur die Eingriffe klappten wie am Schnürchen. Sifri hatte ihm damals angeboten, in seiner Praxis mitzuarbeiten, auch ohne Abschluss.
Das Lamm schmeckte vorzüglich. Plötzlich schien er Schreie zu hören, doch welche? Es war scheußlich, wenn die Mädchen wach wurden. Er musste dann immer sehen, dass er Land gewann.
Anastasia war also tot.
Was für Walid von Vorteil war. Doch da war etwas, was ihn zutiefst beunruhigte. Konnte es sein, dass Anastasia noch am Leben gewesen wäre, wenn er nicht die Tabletten entwendet hätte? Hatte er nicht gehofft, dass sie der Schock darüber töten würde? Töten? Nein, gewiss nicht. Er hatte nicht wirklich dran geglaubt. Ihr Angst einjagen wollte er. Sie konnte sich das Zeug in jeder Apotheke bestellen. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihn zu verdächtigen? Zugegeben, er hatte das Mädchen beschnitten.
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