Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten

Titel: Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
Vom Netzwerk:
faustgroßes Loch war durch den Boden gegraben.
    Er rief eine leuchtende Kugel und ging weiter. Als er sich der Tür näherte, wurde sie mit solcher Wucht aufgestoßen, daß sie sich der Länge nach spaltete und geborsten in den Angeln hing.
    »Komm, alter Mann«, lockte ein zischendes Flüstern. »Alter Mann. Alter Mann. Alter, alter Mann.«
    Vor Abscheu stellten sich ihm die Haare zu Berge, und er gehorchte.
    Der Vorraum war unverändert, aber die Steintreppe dahinter fehlte. Statt dessen tat sich ein gähnender schwarzer Abgrund vor ihm auf. Er rief ein zweites Licht mit der rechten Hand, breitete die Arme aus und sprang, einem Adler im Sturzflug gleich, in die bodenlose Schwärze.
    Er fühlte nicht, wie lange er fiel, aber es erschien ihm als sehr lange Zeit. Er empfand keinen Wind, spürte nicht wie er tiefer kam, er wußte es nur, wie man im Traum Dinge weiß, und er landete sanft auf unebenem, steinernem Grund. Vor ihm führte ein Bogen in den vertrauten ziegelgepflasterten Gang des tiefsten Gewölbes des Orëskas.
    Der niedrige Gang verzweigte sich in ein Labyrinth aus Gängen und Lagerräumen. Unzählige Male war er allein durch diese Gänge geschritten, an jener Ecke vorbei, einen Blick um die nächste werfend, um sicherzugehen, daß der Ort war, wie er sein sollte.
    Aber diesmal wußte er, daß er nicht allein hier war. Die Stimme vor ihm sprach, lauter nun, von vorne, aus dem Ort.
    »Komm, alter Mann! Komm, Wächter!« Die gebrüllte Herausforderung echote kalt durch die klammen Steinkorridore. »Komm und betrachte die ersten Früchte deiner heiligen Wacht.«
    Er trat um die letzte Biegung und fand sich dem Drymagnos, Tikárie Megaresh, gegenüber. Glänzende Augen blickten wach und feucht aus dem dürren, schwarzen Gesicht. Die Hände, die er selbst als junger Zauberer, der eben seine Weihen erhalten hatte, abgetrennt hatte, hatten wieder die Arme ihres Besitzers gefunden, und sie ragten aus den Ärmeln des Festgewandes dieses gräßlichen Wesens.
    »Tretet ein, o würdiger Wächter!« hieß ihn Tikárie willkommen und trat mit einer leichten Verbeugung zur Seite. »Der Anmutige erwartet Euch. Tretet ein, und wählt Euren Platz an der Tafel.« Wie die Augen, so erinnerte auch die Stimme des Drymagnos auf perverse Weise an ihren menschlichen Ursprung.
    Nysander trat an seinem alten Feind vorbei und fand einen riesigen Haufen nackter toter Leiber, der den Durchgang versperrte. Wesen in bunten Roben krochen und huschten über die Toten, und er hörte ihr gieriges Schmatzen.
    Einige waren menschlich, unter ihnen erkannte er viele lang bezwungene Feinde, die nun wiedergekehrt waren, um durch seine Träume zu geistern.
    Andere waren ungestalte, monströse Kreaturen, deren abstoßende Gestalt sich unter den Roben abzeichneten.
    Alle aßen das Fleisch der Toten. Sie kauerten auf den Leibern wie Schakale über ihren Opfern, rissen mit Zähnen und Klauen Fleisch von den Körpern und zermalmten Knochen.
    Aus den Schatten trat eine riesenhafte Gestalt, gehüllt in einen dunklen, alles verbergenden Mantel.
    »Nimm teil am Festmahl«, befahl sie, und die Stimme glich dem Wind, der klagend durch den Kamin in einem verlassenen Haus heulte. Das gespenstische Wesen griff mit einem überlangen Arm in den Leichenberg, holte einen Körper hervor und warf ihn Nysander vor die Füße.
    Es war Seregil.
    Das halbe Gesicht war abgenagt. Beide Hände fehlten, und die Haut war von der Brust gepeitscht.
    Ein Stöhnen entfloh Nysanders Brust, als die Trauer sich schwer auf ihn legte.
    »Verschlinge ihn«, forderte das Gespenst ihn auf und griff noch einmal in den Haufen.
    Micum war der nächste, mit aufgebrochener Brust, die Arme an den Schultern abgetrennt.
    Dann Alec, der Hände und Augen beraubt. Blut war wie Tränen über das Gesicht geflossen und hatte sein helles Haar verklebt.
    Andere folgten, in immer rascherer Folge. Freunde, Lords, Diener, Fremde, sie flogen auf ihn zu, bis ihn ein wachsender Wall aus Leibern umgab. Noch ein Herzschlag, dann würde er eingekerkert sein in einem Turm toten Fleisches.
    Er kämpfte gegen Trauer und Schrecken an und ließ die beiden Lichter, die er noch bei sich trug, heller leuchten, dann warf er sie vor sich hin und sprang über die toten Leiber seiner Gefährten. Das entartete Gespenst wuchs und war dann verschwunden, und die Toten mit ihm. Vor ihm stand der Herr der Stimme, und Nysanders Trauer kristallisierte zu steinerner Angst. Schatten umhüllten die riesige Gestalt, nur auf eine

Weitere Kostenlose Bücher