SchattenGrab
weggeschickt.“
„Das ist auch besser für dich“, sagte er drohend.
„Ich komme später nach Hannover und packe ein paar Sachen. So gegen sechs. Aber ich will dich nicht sehen. Sieh zu, dass du dann weg bist.“
„Das trifft sich gut. Ich bin sowieso in der Klinik. Bis halb neun solltest du wieder verschwunden sein!“, schlug er vor.
„Ich werde keine Sekunde länger dableiben, als ich muss. Da kannst du dir sicher sein“, sagte Verena. „Den Rest kannst du mir zuschicken, wie du gesagt hast, wenn ich eine Wohnung habe. Wir sind fertig miteinander!“
Unterirdisch
Als Thorsten eingetroffen war, nahm Hugo seinen Castor auf die Schulter. Die Eisenklappe hatten sie bereits geöffnet. Zu dritt kletterten sie die Stiege hinab. Unten angekommen, ließ Hugo den Hund zu Boden. In einer gemauerten Rinne floss das Wasser gleichmäßig dahin. Auf der linken Seite führte ein schmaler Weg entlang. Castor schnüffelte und orientierte sich. Dann lief er in Richtung Norden voraus. Sie mussten sich etwas ducken, um sich den Kopf nicht zu stoßen. Thorsten schätzte die Deckenhöhe auf einen Meter siebzig. Die Luft war hier unten nicht so feucht, wie sie vermutet hatten. Durch den Brunnenschacht und weitere Zuleitungen von oben war eine ausreichende Belüftung des Systems gewährleistet. Von Ferne hörten sie leises Quieken.
„Ratten“, sagte Ingo. „Ich hasse Ratten!“
„Trinken würde ich das Wasser also nicht“, fügte Thorsten hinzu, „aber zum Gießen reicht es doch.“ Er dachte an Mariannes Garten.
Nach fast vierzig Metern verzweigte sich der Tunnel. Castor führte die Beamten westwärts. Sie waren vielleicht weitere drei Minuten gegangen, da gab der Schäferhund auf einmal Laut. Im Licht der Taschenlampe sahen sie ein Stück Stoff, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Stelle wäre ihnen wahrscheinlich entgangen, weil sie nicht unbedingt nach links geleuchtet hätten, denn das Gewebe war in derselben Farbe wie die Mauer.
Ingo hob den Stoff an, der wie eine Art Vorhang vor einer Nische zu hängen schien und stieß auf einfeinmaschiges Netz, das mittels eines Rahmens in das Loch in der Mauer gespannt war.
„Ein Drahtnetz“, sagte er und kramte in seiner Tasche.
„Ich kann nicht sehen, was dahinter ist“, fügte Thorsten hinzu, „es ist zu feinmaschig.“
„Das haben wir gleich“, versprach Ingo und setzte einen Schraubenzieher an der Stelle an, wo vorher schon jemand mehr als einmal das Drahtnetz entfernt haben musste. „Es ist nur in die Wand gespannt.“
Tatsächlich löste sich der Rahmen leicht aus den Steinen und gab den Blick auf bleiche Fragmente unterschiedlicher Größe frei.
„Kinderknochen!“, sagte Ingo und holte tief Luft.
„Ja, aber nicht vollständig“, ergänzte Thorsten. „Ich sehe keinen Schädel und die Wirbelsäule scheint komplett zu fehlen.“
„Da, wo der Kopf gelegen haben muss, ist ein flaches, fleckiges Stück Stoff zu sehen. Möglicherweise ein Kissen, aber nicht mehr ganz intakt, und knapp unter den Füßen sehe ich auch noch einige Fetzen.“
„Sind das da Nagespuren am Oberschenkelknochen? Schau mal hier!“, Thorsten zeigte auf die Stelle.
„Kann sein“, sagte Ingo und schüttelte sich, „vielleicht deshalb das Drahtnetz, damit die Viecher nicht mehr speisen konnten.“
„Haben wir es nun mit dem Kind zu tun, das wir auf dem Foto gesehen haben? Mit dieser Marie, die nach Sichtung der Tagebücher in ein Pflegeheim gegeben worden sein soll?“, fragte Thorsten.
„Möglich. Groß sind die Knochen nicht. Haben wir eine ungefähre Ahnung, wann das Mädchen verschwand?“, wollte Ingo wissen.
„Nach den Aufzeichnungen ihres Vaters kam sie angeblich 1966 ins Heim.
Da war sie ungefähr fünf Jahre alt“, erklärte der Fallanalytiker.
„Könnte von der Größe her hinkommen“, meinte Ingo, „aber ich bin kein Rechtsmediziner.“
„Und genau den brauchen wir jetzt“, sagte Thorsten und zog sein Handy aus der Tasche. „Kein Empfang! Ich schlage vor, wir setzen den Rahmen erst mal wieder ein und gehen nach oben.“
Ingo nickte und sagte: „Ich bin gespannt, was die Kollegen oben herausgefunden haben.“
„Denkst du dasselbe wie ich?“, fragte Thorsten.
„Absolut!“, bestätigte Ingo.
Toni
Es war Mittag. Der Wind wehte warm um Tonis Nase, die Arm in Arm mit Valentin auf der Fähre stand. Die Spiekeroog eins lief gerade im Hafen der Insel ein. Toni sog die Seeluft ein.
„Vielleicht nicht gerade Spanien“, sagte sie,
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