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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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geruchsmäßig mit einem deftigen Schweineschinken zu vergleichen.
    Du lernst es nie, Nico, dachte sie. Erst Gehirn einschalten, dann Mund aufmachen.
    »Sie kommen hoch.« Leon drehte sich zu ihr um. »Du ziehst dir vielleicht besser was anderes an.«
    Nico schaute hinunter zu ihren Füßen, die in dicken Wollsocken steckten. Sie trug eine weite, etwas ausgeleierte Haremshose und ein zerknittertes Sweatshirt, das sie in aller Hast aus dem Schrank gezogen hatte. Vielleicht sollte sie grundsätzlich ein bisschen mehr darauf achten, hier nicht zu verwildern.
    »Es könnte sein, dass sie klingeln und eine Spende wollen. Ich weiß es nicht. Aber es sieht ganz so aus, als ob Schattengrund ihr Ziel wäre.«
    »Echt? Dann brauchen sie die Freiwillige Feuerwehr.«
    Er sah sie fragend an.
    »Fürs Weihwasser«, sagte Nico. »Ein paar Tropfen reichen da nicht.«
    Sie lief wieder nach oben und begutachtete den kläglichen Rest ihrer Garderobe. An gesellschaftliche Ereignisse wie eine Heiligenprozession hatte sie bei der Zusammenstellung natürlich nicht gedacht. Nach einigem Hin und Her entschied sie sich, dass eine Jeans und der schwarze Pullover reichen mussten. Sie hatte gerade noch Zeit, sich die feuchten Haare zu einem Pferdeschwanz zu binden und eine Mütze aufzusetzen, als sie leise Stimmen und die knirschenden Schritte vieler Menschen über Schnee hörte. Hektisch lief sie hinunter zu Leon, der immer noch am Fenster stand, sich aber vor den Blicken von außen hinter dem Vorhang verbarg.
    »Sie warten auf dich.«
    Nicos Herz verkrampfte sich. Die Prozession war vor dem Gartentor zum Stehen gekommen. Gerade drehte sich der Pfarrer um und richtete einige Worte an seine Schäfchen. Sie kamen offenbar nicht gut an, denn das Murren war bis ins Haus zu hören.
    »Ich hoffe ja nicht, dass sie stürmen«, sagte sie mit einem Anflug von Galgenhumor. »Unsere einzigen Waffen sind Briketts und Besen. Aber ob man damit gegen eine Hundertschaft aufgebrachter Bürger ankommt … Wann noch mal wurde hier zuletzt gelyncht?«
    Leon schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du sollst raus und mitlaufen.«
    »Was?«
    Der Pfarrer hob gerade beschwichtigend die Hände. Nico sah, dass nicht alle aus Siebenlehen aufgebracht waren. Die meisten standen nur frierend herum wie bestellt und nicht abgeholt und warteten wohl darauf, dass es weiterging. »Ohne mich.«
    »An deiner Stelle würde ich es tun. Die Leute haben doch nur Angst vor Dingen, die sie nicht kennen.«
    »Ich bin kein Ding.«
    »Natürlich nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ganz Siebenlehen dich ablehnt.« Leon warf ihr einen aufmunternden Blick zu. »Du schaffst das schon. Das könnte eine Chance sein, und der Pfarrer versucht wohl gerade, sie dir zu geben.«
    »Ach ja? Und du?«
    »Ich bleibe hier.«
    »Warum das denn? Ich soll alleine da raus? Jemand von denen hat heute Nacht versucht, mich umzubringen!«
    »Ich kann nicht.«
    Nico verschränkte die Arme über der Brust. Der Verdacht war böse, aber logisch und nachvollziehbar. »Ach so. Du willst nicht mit mir gesehen werden.«
    »Genau.« Er ging hinüber in die Küche und kam mit Nicos Jacke zurück, die er ihr mit einer auffordernden Geste reichte. »Hast du eine Vorstellung davon, was das mit deinem Ruf anstellt, wenn die Leute sehen, dass ich heute Nacht bei dir war?«
    »Mein Ruf ist hier doch wohl schon ziemlich über den Jordan, oder?«
    »Wenn man an den Pranger gestellt wird, dann nur für Dinge, die man auch getan hat. Und …« Er brach ab und sah sie an, dass ihr heiß und kalt wurde. Nico, dachte sie, was passiert hier mit dir?
    »Und was?«, fragte sie leise. Mehr als Nachplappern war im Moment sowieso nicht drin.
    »Also was ich damit sagen will …« Er kam näher, hob die Hand und zupfte mit einer fast zärtlichen Geste ihre Mütze zurecht. Sie hatte das Verlangen, ihren Kopf in diese Hand zu schmiegen und seine Berührung nie mehr zu verlieren. Aber sie konnte sich nicht rühren.
    Es klopfte. Nico fuhr zurück und stolperte, wie aus einem Traum gerissen, zur Tür. Sie riss sie auf und starrte auf einen Pfarrer mit erhobener Hand. Er war nur wenig größer als Nico und mochte vielleicht fünfzig Jahre alt sein. Was sie irritierte, war nicht der Umstand, dass er gerade dabei gewesen sein musste, die Tür zu segnen, sondern der Ausdruck in seinem Gesicht, mit dem er das tat. Angst.
    Er hat Angst vor mir.
    Der Geistliche versuchte, ein Lächeln in sein Gesicht zu zaubern. Er trug eine randlose runde Brille,

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