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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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was seinem schmalen Gesicht durchaus etwas Gelehrtes verlieh. Er hatte helle, wache Augen unter buschigen Brauen, glatt rasierte Wangen und eine hohe Stirn. Er wirkte mehr wie ein Professor als wie ein Pfarrer. Ein etwas verwirrter, leicht zu erschreckender Wissenschaftler.
    »Guten Tag«, sagte er. Seine Stimme war hoch, aber nicht unangenehm. »Wir sind hier, um zu fragen, ob Sie sich nicht unserer Prozession anschließen wollen.«
    »Wer ist wir?«
    »Die Gemeinde von Siebenlehen.«
    Die Leute sahen immer noch nicht aus, als ob sie zu hundert Prozent hinter ihrem Pfarrer stehen würden. Leises Zischeln und Raunen erhob sich aus den ersten Reihen. Nico runzelte die Stirn. Leon stand hinter der Tür und nickte ihr aufmunternd zu.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie.
    Der Pfarrer lächelte. »Das klingt zumindest nicht nach einem Nein. Kommen Sie mit. Viele sind neugierig, wer in Kianas Haus gezogen ist, und wollen Sie kennenlernen.«
    »Ach ja?«
    Sie suchte die Menge nach bekannten Gesichtern ab. Und sah – Maik. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte ihr fröhlich zu.
    »Nico!«, brüllte er und klirrte ein bisschen. Alle drehten sich nach ihm um, als hätte er gerade den Leibhaftigen gerufen. »Komm mit! Nachher trinken wir noch einen zusamm’!«
    Stille. Maik sah sich betreten um. Er war wohl der Einzige, der sich über seinen Umgang nicht das geringste Kopfzerbrechen machte.
    »Sehen Sie?« Der Pfarrer bot ihr in einer rührenden Geste seinen Arm an. »Sie sind gar nicht so schlimm.«
    Achtzehn
    Die Prozession war schon am Weiterziehen. Nico reihte sich irgendwo in der Mitte ein und hielt Ausschau nach Maik. Als sie ihn gefunden hatte, arbeitete sie sich zu ihm durch. Er grinste sie schüchtern an und sah zu Boden.
    »Wie schmeckt das Katzenfutter?«
    »Bestens«, antwortete sie und erinnerte sich daran, dass auf ihrem Herd wohl gerade Spiegeleier kalt wurden. Sie ignorierte ihren knurrenden Magen und sah sich um.
    Die meisten Leute mieden ihren Blick. Aber es gab auch einige, die ihr freundlich zunickten. Sie war froh, wenigstens eine Person gefunden zu haben, neben der sie herlaufen konnte. Jemand stimmte ein Lied an und alle fielen ein.
    Die du im Erdenschoße
    des Bergmanns starker Hort,
    hör Barbara, du Große,
    getreuer Knappen Wort.
    Zu schwerem Werk wir fahren
    hinab den dunklen Schacht,
    o mögst du uns bewahren
    in tiefer Bergesnacht.
    Will uns der Fels zerschmettern,
    droht donnernd uns der Tod
    in flammenden Schlagwettern,
    so reiß uns aus der Not.
    Die du im Kampf mit Geistern
    der Tiefe unser Schutz,
    hilf uns auch heute meistern
    der böse Feinde Trutz.
    Und schlägt die Feierstunde,
    geht es zum Tag hinauf,
    so grüßt aus treuem Munde
    dich jubelnd ein »Glückauf!« –
    »Glückauf!« – »Glückauf!« –
    Der Ruf wurde weitergetragen, erreichte Nico, die mit einstimmte, und verebbte hinten bei den Nachzüglern. Jubel klang anders, aber vielleicht war es auch einfach nur zu kalt. Die Prozession führte einmal durch ganz Siebenlehen. Langsam verlor Nico ihre Befangenheit. Wenn Leute an den Fenstern standen oder Türen öffneten und winkten, winkte sie zurück. Die Bewegung hielt sie warm.
    Es war nicht leicht, durch den Schnee zu stapfen. Der Zug wurde länger und länger, weil viele nicht so schnell mitkamen und zurückfielen. Manche grüßten Nico freundlich, andere streifte sie nur mit einem eisigen Blick. Sie erkannte die Bäckersfrau, die sich mit hochrotem Gesicht und unter lautem Schnaufen bei einem hageren Mann eingehängt hatte, der einen nicht sehr glücklichen Eindruck machte. Ein Stück dahinter tauchte das missmutige Gesicht von Zach auf. Er wurde begleitet von einer korpulenten blonden Frau, die aussah, als ob sie am liebsten zurück ins Bett kriechen wollte. Nico achtete darauf, den beiden nicht zu nahe zu kommen. Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie die Kirche. Die heilige Barbara wurde hineingetragen und verschwand.
    »Ist sie nicht schön?«, fragte Maik mit leuchtenden Augen.
    Nico stellte sich auf die Zehenspitzen. Sie hatte die Figur bis jetzt nur von hinten gesehen. Die Kirche war voll. Immer noch strömten Leute hinein, gleich würde die Messe beginnen. Einige nicht ganz so Gläubige verabschiedeten sich und so entstand im Eingang ein Durcheinander von Kommenden und Gehenden.
    »Ich zeig sie dir. Du musst sie dir anschauen.«
    Er packte ihre Hand und zog sie mit sich. Nico musste es wohl oder übel geschehen lassen, denn jede Gegenwehr war zwecklos.

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