Schattenkampf
seiner Liste aufgeführt. Wir hätten gern in einer richtigen Verhandlung geklärt, was Sie diesbezüglich zulassen werden, bevor wir es auch nur ansatzweise mit einer Jury zu tun haben.«
Sie wollte, dass der Richter von Washburn verlangte, seine Gutachter bei einer Vorverhandlung in Abwesenheit der Geschworenen aufzurufen und unter Eid aussagen zu lassen. Dann konnten die zwei Parteien darüber streiten, ob die jeweiligen Gutachteraussagen zulässig waren, und den Richter schließlich darüber entscheiden lassen. Wurde eine Aussage zugelassen, musste sie der betreffende Gutachter später noch einmal im Beisein der Geschworenen machen.
Lehnte das Gericht den Antrag auf eine solche Vorverhandlung jedoch ab, wurde das Gutachten zum ersten Mal im Beisein der Geschworenen abgegeben. Wenn dann der Richter entschied, dass die betreffende Aussage nicht hätte zugelassen werden dürfen, bestand die einzige Wiedergutmachung darin, dass er die Geschworenen anwies, so zu tun, als hätten sie die Aussage nie gehört. Allgemein als »Entläuten der Glocke« bekannt, galt diese Maßnahme schon seit langem als pure Augenwischerei.
Mills begann, ihre Argumente vorzutragen. »Der Angeklagte beruft sich auf PTBS, Euer Ehren, aber die Verteidigung behauptet, er hat die Tat nicht begangen. Wenn er es also ohnehin nicht war, ist sein Geisteszustand unerheblich. Alles, was damit bezweckt wird, ist, seine Kriegserlebnisse und Verwundungen vor den Geschworenen auszubreiten, um ihr Mitleid zu wecken.«
Washburn lehnte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen zurück und drehte einen Finger in seinem Ohr. »Mein Mandant hatte in dem Zeitraum, in dem Mister Nolan getötet wurde, einen Blackout, Euer Ehren. Zuallererst wird der Hinweis auf seine PTBS also seine Behauptung stützen, dass er sich an nichts, was in diesem Zeitraum geschehen ist, erinnern kann. Zweitens: Falls er jemanden getötet hat und Zweifel hinsichtlich seines Geisteszustands bestehen, weil er gerade einen PTBS-Anfall hatte, dann hat er ein Anrecht auf diese Zweifel. Die Tat wäre bestimmt weniger als vorsätzlicher Mord, vielleicht nur Totschlag oder fahrlässige Tötung.«
Diese Einlassung entlockte Tollson die erste Probe seiner berüchtigten Gerichtssaal-Reizbarkeit. »Ich glaube, ich bin mir über die Problematik im Klaren, Herr Anwalt.« Er sah ein paar weitere Sekunden lang Mills Antrag durch, dann ordnete
er seine Seiten und legte sie auf Washburns Fragebogen. »Ich lasse Ihnen zwei Wochen Zeit für Ihre Anträge. Solange wir nicht wissen, was die Jury zu hören bekommen wird, können wir den Kandidaten nicht sagen, wie lang der Prozess dauern wird, deshalb beginnen wir erst heute in zwei Wochen mit der Geschworenenauswahl. Einverstanden?«
Mills war zufrieden. Sie hatte ihre Vorverhandlung bekommen. Ein gutes Omen.
Tollson fuhr fort: »Meine Mitarbeiter werden den Jury-Beauftragten bitten, die Kandidatenlisten zusammenzustellen. Sechs Verhandlungstage für die Geschworenenauswahl, einschließlich drei Tage für die Problemfälle. Sechs Verhandlungswochen, wenn Sie PTBS aufs Tapet bringen, wahrscheinlich maximal vier, wenn nicht. Dann lassen Sie uns mal wieder in den Saal zurückkehren und in die Gänge kommen.«
20
Aaron Washburn stand in der Mitte des Gerichtssaals und richtete sich in der Verhandlung über die Zulassung von PTBS an seinen ersten Gutachter. Dr. Sandra Overton war eine gesetzte Psychiaterin Mitte vierzig. Sie hatte dichtes Kraushaar und trug ein dunkelblaues Kostüm und Schuhe mit flachen Absätzen. Ihre Qualifikation und Berufserfahrung als Psychiaterin - also als Ärztin - hatte sie bereits heruntergebetet; sie war auf Veteranen spezialisiert, die an Kampfeinsätzen teilgenommen hatten. »Frau Doktor«, fragte Washburn, »hatten Sie im Zug Ihrer Arbeit mit diesen Veteranen, auch mit einem Leiden zu tun, das unter der Bezeichnung
posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, bekannt ist?«
Fast lachte sie über die Frage. »Es ist mehr oder weniger das Einzige, womit ich zu tun habe.«
»Können Sie dem Gericht erklären, worum es sich dabei handelt?«
»Selbstverständlich.« Sie schaute zum Tisch der Anklage, wo Mills mit gefalteten Händen dasaß, dann zur Richterbank, auf der Judge Tollson thronte. »Es ist ziemlich genau das, was der Name sagt. Es ist eine psychische Störung, die nach einer Phase von traumatischem Stress auftritt.«
»Eine psychische Störung? Wollen Sie damit sagen, es ist eine Geisteskrankheit?«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher