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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lescroart
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endlich dieses alkohol- und schmerzmittelabhängige Wrack zum Vorschein, dessen mangelnden Führungsqualitäten es seine allesamt aus San Mateo County stammenden Männer zu verdanken hatten, dass sie im Irak in diesen tödlichen Hinterhalt geraten waren.
    Vor Aufregung begann ihr Herz schneller zu schlagen, als sie darauf wartete, dass der Richter den Saal betrat. Sie konnte es kaum erwarten, einige der Punkte zu klären, die gerichtlicherseits noch entschieden werden mussten, bevor mit der Auswahl der Geschworenen begonnen werden konnte. Der wichtigste würde gleich als Erstes verhandelt werden, und Mills hatte einen Antrag auf eine Vorverhandlung vorbereitet, in der über die Zulässigkeit von Beweisen in Zusammenhang mit einer posttraumatischen Belastungsstörung entschieden werden sollte.
    Es hatte sich von Anfang an abgezeichnet, dass Aaron Washburn PTBS als entscheidenden Teil seiner Verteidigungsstrategie einzusetzen beabsichtigte. Immerhin hatte der Angeklagte im Krieg genau die Art von schwerem persönlichen Trauma erlitten, über das mittlerweile Bände gelehrter Abhandlungen
verfasst worden waren. Außerdem hatte er über einen längeren Zeitraum hinweg, und von mehreren Personen bezeugbar, einige, wenngleich nicht alle klassischen Symptome von PTBS aufgewiesen.
    Deshalb hatte sich Mills zunächst eine Weile so weit einlullen lassen, zähneknirschend zu akzeptieren, dass PTBS Bestandteil des Prozesses würde, und mit ihm der damit einhergehende Gutachter-Irrsinn, die Attraktivität für die Medien und die emotionalen Untertöne, die dieses Thema vor allem angesichts des zunehmend unpopuläreren Krieges anschlug.
    Doch dann wurde ihr eines Tages klar, dass Washburn nicht beides haben konnte. Entweder argumentierte er dahingehend, dass Scholler zwar Ron Nolan ermordet hatte, PTBS aber ein mildernder Umstand oder sogar eine Rechtfertigung war; oder er machte geltend, dass Scholler Ron Nolan gar nicht getötet hatte, in welchem Fall er, genauer betrachtet, gar keine andere Verteidigung brauchte. Wenn Scholler die Tat nicht begangen hatte, dann war es nicht PTBS oder Notwehr oder sonst etwas gewesen, was es ihn nicht hatte tun lassen. Deshalb hatte Mills ihren Antrag in dem Glauben verfasst, die Logik auf ihrer Seite zu haben - nicht, dass das immer zählte. Sie wollte eine richtige Verhandlung zu diesem Thema und war bereit, erbittert dafür zu kämpfen.
    »Bitte erheben Sie sich. Hört! Hört! Der Superior Court des Staates Kalifornien für das County von San Mateo tagt jetzt unter dem Vorsitz von Judge Theodore Tollson.«
    Sie stand auf und richtete den Blick nach vorn. Tollson war auf die Richterbank gekommen. Die Protokollführerin sagte: »Sie können sich setzen.« Nach fünfzehn Monaten Vorbereitungszeit, siebenunddreißig Ordnern voll mit Vernehmungsprotokollen,
zwölf vorprozesslichen schriftlichen Anträgen, drei Lovern und der Andeutung, dass der richtige Prozessausgang einen sechsstelligen Vorschuss für ein Buch nach sich zöge, war es endlich so weit. Es wurde ernst.
    Tollson blickte von der Richterbank finster auf die Tische der beiden Anwälte hinab, dann über die Schranke hinweg auf den gedrängt vollen Zuschauerbereich. Er machte ganz und gar keinen freundlichen Eindruck. Er straffte seinen Rücken und schob seine Brille den Nasenrücken hinauf. »Mister Washburn«, begann er. »Miss Miille. Können wir anfangen?«
    Beide erklärten: »Ja, Euer Ehren.«
    »Also dann, bevor wir zur Sache kommen, möchte ich Sie noch kurz in mein Zimmer bitten.« Und damit war er wieder aufgestanden, von der Bank gestiegen und durch die Tür auf der Seite des Saals verschwunden. Für Mills hatte es etwas Absurdes, wie der Richter eine Minute zuvor in aller Förmlichkeit die Verhandlung eröffnet und sich fast sofort wieder in sein Richterzimmer zurückgezogen hatte, aber es war bei weitem nicht die einzige absurde Situation, die sie in einem Gerichtssaal erlebt hatte.
    Während sie noch ihre Unterlagen zusammenraffte, war Aaron Washburn bereits an ihren Tisch gekommen, um, ganz Kavalier, zu warten, bis sie so weit war. Fast rechnete sie damit, er würde wie ein Höfling den Arm ausstellen, damit sie sich bei ihm einhängte. Aber er verneigte sich nur leicht und ließ ihr den Vortritt, als sie durch den Gerichtssaal zu der Seitentür gingen, an der ein Gerichtsdiener wartete.

    In Tollsons Richterzimmer prangte an der Wand hinter dem mächtigen Eichenschreibtisch ein verblichener grün-goldener Wimpel der

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