Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schattenkampf

Titel: Schattenkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lescroart
Vom Netzwerk:
schüttelte den Kopf. »Das ist eigentlich kein wissenschaftlich gebräuchlicher Terminus. Gesetzlich gilt es als Krankheit, Defekt oder Störung. Medizinisch ist es eher eine Reihe anhaltender Symptome und Reaktionen, die jemand erleidet, der ein traumatisches Erlebnis hatte. Mit Betonung auf anhaltend.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Nun, fast jeder, der ein traumatisches Erlebnis hat, zeigt eine Reaktion darauf. Schock oder Depressionen oder Schlaflosigkeit. Bei PTBS tendiert diese Reaktion jedoch dazu, erstens massiver zu sein und zweitens länger, manchmal sogar für immer, anzuhalten. Es bleibt also nicht bloß eine Reaktion, sondern wird eine Störung.«
    »Und was ist ein traumatisches Erlebnis, Frau Doktor?« Wieder schüttelte Overton den Kopf. »Dafür gibt es keine Definition. Was für eine Person traumatisch ist, kann für eine andere relativ harmlos sein. Aber zu den gängigen traumatischen Erlebnissen zählen eindeutig militärische Kampfhandlungen,
schwere Unfälle, Straftaten wie eine Vergewaltigung, Naturkatastrophen, Terroranschläge und dergleichen.«
    »Militärische Kampfhandlungen?«
    »Ja. Sie sind eine häufige Ursache. Allerdings hat man sich bis zum Ende des Vietnamkriegs kaum mit dieser Störung befasst. Davor hieß sie, wenn überhaupt darüber gesprochen wurde, Da Costa’s Syndrome. Aber seit Vietnam wird die Anzahl der Soldaten mit Kampferfahrung, die an PTBS leiden, auf dreißig Prozent geschätzt.«
    »Und was sind die Symptome, die normalerweise in Zusammenhang mit PTBS auftreten?«
    »Eines der Hauptsymptome ist das erneute Durchleben des ursprünglichen traumatischen Erlebnisses, entweder in Form von Flashbacks oder Alpträumen. Dazu kommen selbstverständlich noch Schlafstörungen und das Gefühl, nicht richtig im Leben zu stehen. Außerdem Depressionen, Gedächtnis-und Wahrnehmungsstörungen, ausfallendes und selbstzerstörerisches Verhalten. Ein breites Spektrum von Problemen also, die der Betreffende mit sich selbst und mit seiner Umgebung hat.«
    »Frau Doktor, Sie sprachen von ausfallendem und selbstzerstörerischem Verhalten. Fällt darunter auch Alkoholmissbrauch?«
    »Ja, selbstverständlich.«
    »Und mit Gedächtnisstörungen, meinen Sie da Blackouts?«
    »Ja. Blackouts sind relativ häufig, vor allem in Zusammenhang mit übermäßigem Konsum von Alkohol oder Drogen oder beidem.«
    »Ich verstehe.« Washburn tat so, als hörte er das alles zum ersten Mal in seinem Leben. Er machte einen Schritt auf seine Gutachterin zu. »Frau Doktor, hat PTBS eine physiologische
Komponente? Oder handelt es sich dabei einfach um etwas, was ein Laie als psychisches Problem bezeichnen würde?«
    Wie von Washburn beabsichtigt, hielt diese Frage Overton davon ab, sich zu sehr von ihrer relativ geradlinigen Schilderung einlullen zu lassen. Diese Vorverhandlung war nicht seine Idee gewesen, aber nachdem sie einmal stattfand, nutzte er sie als Probelauf, um festzustellen, wie sich mit den Gefühlen der Geschworenen spielen ließe, wenn und falls Dr. Overton beim Prozess aussagen würde. Sie setzte sich steif auf und machte ein pikiertes Gesicht. »Auf gar keinen Fall! Zuallererst ist ein mentales Problem ein sehr reales Problem. Es ist genauso real wie ein gebrochenes Bein. Zweitens lässt sich bei PTBS eine messbare Veränderung der Hirnaktivität feststellen, außerdem ein vermindertes Volumen des Hippocampus und eine abnorme Aktivierung der Amygdala, was beides Auswirkungen auf das Gedächtnis hat. Betroffen ist davon auch die Schilddrüse und damit die Produktion von Adrenalin und Cortisol. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, aber es soll an dieser Stelle genügen, darauf hinzuweisen, dass es sehr, sehr viele physiologische und neurologische Veränderungen und Reaktionen in Zusammenhang mit PTBS gibt.«
    »Ich verstehe, Frau Doktor. Danke«, sagte Washburn. »Sie hatten bereits Gelegenheit, mit meinem Mandanten Evan Scholler zu sprechen und ihn in Hinblick auf PTBS zu untersuchen.«
    »Das ist richtig.«
    »Was haben Sie festgestellt?«
    »Ich habe festgestellt, dass Mister Scholler eindeutig an der Störung leidet. Insbesondere sein Erinnerungsvermögen scheint beeinträchtigt, und dieses Symptom verstärkte sich
infolge einer traumatischen Hirnverletzung, die er im August zweitausendunddrei im Irak erlitt. Er leidet an häufigen Migräneanfällen. Darüber hinaus hat er von Blackouts und Anfällen von Wut, Scham und Schuldgefühlen sowie Depressionen berichtet. Schlafstörungen

Weitere Kostenlose Bücher