Schattenkampf
von ihnen auf, schob sie über die Länge des Tischs auf Evan zu, der sie mit der Hand anhielt und an seine Lippen hob. Als er sie wieder absetzte, saß Nolan ihm gegenüber. »Übrigens kann man von
hier auch mailen.« Er deutete auf den Briefumschlag. »Mama oder Freundin?«
»Ex-Freundin. Während der Ausbildung habe ich ihr regelmäßig Mails geschickt, aber sie hat nie geantwortet. Ist ja auch verdammt einfach, die Löschtaste zu drücken. Oder seine Adresse zu ändern. Deshalb schreibe ich jetzt Briefe.« Er zuckte mit den Schultern. »Ist vielleicht blöd, aber wenigstens irgendeine Art von physischem Kontakt.«
»Wenn sie deine Ex-Freundin ist, warum schreibst du ihr dann?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es pure Zeitverschwendung. Ich bin ein Idiot.« Er nahm einen weiteren Schluck Bier. »Ich würde nur gern wissen, ob sie diese blöden Briefe überhaupt kriegt.«
»Dann ist das also nicht der erste?«
»Nein, ungefähr der zehnte.«
»Und sie hat nicht zurückgeschrieben? Nicht mal ein einziges Mal?«
»Wir haben uns ziemlich gestritten. Wir waren wegen des Kriegs unterschiedlicher Meinung.«
»Deswegen trennt man sich doch nicht.«
»Wir schon.« Er schaute über den Tisch. »Aber manchmal denke ich dann auch, dass ihr vielleicht was zugestoßen ist. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie nicht antwortet. Vielleicht kriegt sie die Briefe nicht. Wenn sie sie gelesen hätte, würde sie bestimmt … vielleicht ist sie gestorben, oder es ist ihr was passiert, und sie kann nicht …«
»Kann was nicht?«
»Ich weiß nicht.«
Nolan drehte langsam seine Flasche. »Jetzt hör mal zu. Nichts für ungut, aber das hört sich alles reichlich melodramatisch
an. Du setzt hier jeden Tag dein Leben aufs Spiel. Da hast du doch Besseres zu tun.«
»Ja. Ich weiß.« Er schluckte einen Mundvoll hinunter. »Ich weiß.«
»Du solltest einfach einen Schlussstrich ziehen.«
»Wenn ich etwas von ihr hören würde, fiele es mir wahrscheinlich leichter.«
»Du hörst doch von ihr. Denk mal ein bisschen nach.«
»Ja, da hast du allerdings Recht. Ich weiß, dass du Recht hast.« Er neigte seine Flasche nach oben und leerte sie.
Nolan stand auf und ging in die Küche. Er kam mit einer weiteren Runde zurück, drehte Evans Verschluss auf und reichte ihm die Flasche, als er sich setzte. »Und wo bist du zur Schule gegangen?«
»In Santa Clara.«
»Du warst auf dem College?« Auf Evans Schulterzucken hin fuhr Nolan fort: »Ist ja auch nichts dran auszusetzen. Ich war zwei Jahre in Berkeley. Fand es aber schrecklich. Deshalb habe ich alles hingeschmissen und mich freiwillig gemeldet. Bin zu den Seals gegangen, und von da an ging es aufwärts. Hast du einen Abschluss?«
»Ja.«
»Was hast du danach gemacht?«
»Ich bin zur Polizei gegangen.«
Nolan grinste und nickte. »Dachte ich mir’s doch, dass du ein Cop warst.«
»Wie das?«
»Weil du wie einer aussiehst.«
»Ich kenne jede Menge Cops, die nicht wie ich aussehen.«
»Wenn man weiß, worauf man achten muss, tun sie das garantiert.« Nolan trank. Sein Grinsen blieb weiter an seinem
Platz. »Es ist die Art, wie du gehst, deine ganze Haltung. Du bist ein großer kräftiger Kerl. Du hältst dich in Form. Ich hätte auf Cop getippt. Drum lass uns jetzt auf alle guten Cops trinken.«
Nolan richtete sich auf und hob die Handfläche, und Evan klatschte so fest dagegen, dass das Geräusch durch den leeren Raum schallte. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, hob Nolan sein Bier, und die zwei Männer stießen an und leerten ihre Flaschen in einem einzigen langen Zug.
Nolan holte die nächste Runde, und sie stießen wieder an. Dann deutete er auf den Brief, der immer noch zwischen ihnen lag. »Hast du zu Hause Kontakt mit jemandem, der mit ihr reden könnte und rausfinden, was mit ihr los ist?«
»Nicht wirklich. Wie du vielleicht schon gemerkt hast, sind die Leute in dieser Gegend nicht sehr kommunikativ.«
»Hast du Familie?«
»Schon, aber … wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa meinen Bruder oder meine Mutter bitten, mal nachzusehen, ob mit Tara alles in Ordnung ist? Das wäre schon etwas eigenartig. Sie würde nur denken, ich will ihr nachstellen oder was.«
»Also.« Nolan hob seine Bierflasche. »Ich mache dir folgenden Vorschlag. Ich fliege morgen nach San Francisco zurück. Du gibst mir diesen Brief, ich drücke ihn ihr persönlich in die Hand, frage sie, ob sie die anderen gelesen hat. Finde raus, was Sache ist. In zwei Wochen bin ich wieder
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