Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
gemacht?«
»Ich ... ich weiß nicht mehr so genau. Wieso fragst du?«
»Vorige Woche, nicht wahr?«
Joachim rührte in seinem kalten Kaffee.
»Vielleicht. Ich weiß nicht mehr genau. Spielt das eine Rolle?«
»Ich habe dich vor ziemlich genau drei Stunden angerufen. Da warst du im Büro, und wir hatten seit dem 22. Juli bei Ellen und Jon nichts mehr miteinander zu tun. Jemanden zu googeln, mit dem man verabredet ist und den man noch nicht kennt, finde ich normal. Ich mache das auch oft. Aber wenn du es heute gemacht hättest, würdest du dich wohl daran erinnern.«
Joachim gab keine Antwort.
Unter seiner sonnenbraunen Haut breitete sich eine schwache Röte aus, die er damit zu tarnen versuchte, dass er die Tasse hob und trank.
»Du hast mir die SMS geschickt«, sagte Inger Johanne ruhig. »Am Freitag. In der stand, dass ich mir Sanders Tod genauer ansehen sollte. Du hast mich nicht gegoogelt, weil wir uns heute verabredet haben. Sondern in der vorigen Woche, vermutlich, weil du vage wusstest, dass ich schon häufiger mit Kriminalfällen zu tun gehabt habe. Du hast mich gegoogelt, bevor du die SMS geschickt hast, nicht wahr?«
Er antwortete nicht. Nickte nicht. Saß ganz still da.
»Na los, Joachim.«
Sie schaute ihn mit resigniertem Lächeln an.
»Ich begreife nicht, warum du das unbedingt verheimlichen willst. Ich begreife nicht, warum du mir überhaupt diese SMS schicken musstest. Hättest du mich nicht einfach anrufen können?«
Er sog einen Moment an seinen Zähnen, dann schaute er endlich auf.
»Es kam mir so ... illoyal vor.«
»Illoyal? Wem gegenüber? Jon? Wenn du jemandem Loyalität schuldest, dann doch wohl Sander! Und wieso ist es denn weniger illoyal, sich zu verstecken und eine SMS zu schicken? Also ehrlich ...«
Die beiden Blondinen, beide mit minimalen Oberteilen, superkurzen Jeansröcken und Schuhen, auf denen Inger Johanne keine zehn Meter weit gekommen wäre, interessierten sich jetzt für das Gespräch. Inger Johanne senkte die Stimme: »Du vermutest, dass ich als Ermittlerin gewisse Fähigkeiten besitze. Das ist absolut korrekt. Ich habe der Polizei in so vielen Fällen geholfen, dass ich häufiger seltsame Mitteilungen erhalte, per Mail und per SMS. Und sogar per Post. Mit den Jahren habe ich mir angewöhnt, sie zu ignorieren. Ich lösche sie, und sie sind mir scheißegal. Das habe ich übrigens auch mit deiner gemacht. Aber was glaubst du wohl, wie lange ich brauchen würde, um den Absender zu ermitteln, wenn ich das will?«
Jetzt ließ die Röte sich nicht mehr verbergen. Seine Brille beschlug, und er drehte sich von den Blondinen weg.
»Nicht sehr lange«, murmelte er.
»Nein, das kann ich dir sagen. Hast du ein Auto?«
Joachim sah sie verwirrt an.
»Ja ...«
»Ich meine, hier? Bist du mit dem Auto hier?«
»Ja. Steht gleich um die Ecke.«
»Dann gehen wir«, sagte sie und stand auf. »Bitte fahr mich nach Hause. Wir können unterwegs weiterreden. Da haben wir nicht so viele Zuhörerinnen.«
Sie suchten sich ihren Weg zwischen Stühlen und Tischen, überquerten die Straße und bogen schließlich in die Nordkappgate ein.
»Wow«, sagte sie und blieb stehen, als ein BMW Cabriolet kurz aufbellte und mit allen Lichtern blinkte.
Inger Johanne hatte keine Ahnung von Autos. Sie charakterisierte sie in der Regel nach Farbe und Größe, liebte den Volvo, weil er immer ansprang, und verachtete den Golf, weil er das so selten tat. Doch sogar sie konnte sehen, dass dieses Auto etwas Besonderes war. Joachim schaute kurz zum Himmel hoch, öffnete für sie die Tür und setzte sich hinter das Lenkrad. Offenbar hatte er auf irgendeinen Knopf gedrückt, denn das Dach hob sich mit einem leisen Summen und war verschwunden.
»Wo wohnst du?«
»Hauges vei in Tåsen. Fahr einfach in Richtung Nydalen.«
Inger Johanne bereute ihren Vorschlag bereits. Sie fühlte sich fremd in diesem Salon von einem Wagen, mit den tiefen Ledersitzen und dem teuren Duft. Joachim dagegen hatte zu seinem alten Ich zurückgefunden. Mit selbstsicherem Lächeln manövrierte er sich aus der engen Parklücke.
»Warum hast du die SMS geschickt?«, fragte Inger Johanne.
»Ich bin nicht ganz sicher«, sagte er leichthin. »War ein bisschen nervös. Das war blöd.«
Das Café zu verlassen war wirklich ein Fehler gewesen. Sie konnte ihm nicht mehr ins Gesicht sehen. Die brüchige Fastvertrautheit war verschwunden. Vermutlich hatten die beiden langbeinigen Mädels sich eher für Joachim interessiert als
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