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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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bis Kriegsende dort geblieben war, hatte der alte Trygve Mohr im besetzten Norwegen geschickt laviert. Er wurde kein Nazi, trat nicht in die Partei ein, aber es waren nicht nur haltlose Gerüchte, die von großartigen Festen in dem Haus im Dagalivei berichteten, zu einer Zeit, in der die meisten anderen sich mit mageren Rationen begnügen mussten. Als im Frühjahr 1945 der Friede kam, stellte das vervielfachte mohrsche Vermögen einen Beweis dar, der an sich zu einer Verurteilung hätte führen können. Auf eine Weise, die die wenigsten erklären konnten, kam Trygve Mohr jedoch ungeschoren davon. Der Volksmund hatte dem Barackenbaron noch nicht vergeben, als sein Sohn an einem Sommertag vier Jahre später bei Herrn und Frau Axelsen anklopfte, um sie um die Hand ihrer ältesten Tochter zu bitten.
    Aber Wilhelm besaß Charme. Er war selbstständig und tatkräftig und hatte sich auf eine ganz andere Branche verlegt als sein Vater. Die Reederei Wilhelm Mohr Transocean verfügte bereits über eine beträchtliche Tonnage, und falls Wilhelm von seinem vierschrötigen Vater überhaupt etwas geerbt hatte, dann die Fähigkeit zu lavieren. Die norwegische Schifffahrt erlebte eine Zeit unvorstellbaren Wachstums, und Wilhelm Mohr war überall dabei. Helgas Eltern wurden endlich weich, und im folgenden Jahr wurde Hochzeit gehalten. Trygve Mohr war inzwischen im Alter von neunundfünfzig Jahren verstorben, und Wilhelms ansehnliches Bankguthaben war zu einem kleinen Vermögen geworden.
    Helgas Rolle im Leben war die der Bewahrerin gewesen.
    Sie kümmerte sich um die Kinder und um das Haus. Und um Kleidung und Erscheinung ihres Mannes. Sie hatten natürlich Hilfe im Haus und im Garten, aber in diesem kleinen Königreich regierte Helga. Sie veranstaltete Geselligkeiten und Familienessen, sie pflegte die richtigen Verbindungen und sorgte dafür, dass ihr Mann das auch tun konnte. Geboren und aufgewachsen in der kleinen Gruppe von Menschen, die damals als Norwegens Oberklasse bezeichnet werden konnte, wusste sie, was sie tat, und sie brachte es darin zur Perfektion.
    Helga kümmerte sich ganz einfach um die Werte der Familie, und der größte von allen war der gute Name der Familie Mohr. Wilhelm hatte durch wohltätiges Engagement und Kontakte bis hinein ins Königshaus den braun gefleckten Namen seines Vaters reinwaschen können. Das war ihm wichtig gewesen. Das Allerwichtigste sogar, auch für Helga. Auch, als der Großteil des Vermögens verschwand. Der Jom-Kippur-Krieg im Herbst 1973 erschien Wilhelm, wie so vielen anderen, als abenteuerliche Möglichkeit. Wilhelm Mohr Transocean investierte ausgiebig in Bulkschiffe, um den erwarteten Bedarf an Öltransporten decken zu können. Kurze Zeit später, als die gewaltigen Frachtraten abrupt zu sinken begannen, wurden die Schiffe zu unnützen Treibankern in der Ökonomie der Firma. Ungefähr zu dieser Zeit vermuteten die Behörden, Wilhelm habe in fast demselben Umfang Steuern hinterzogen wie die noch bekannteren Reeder Reksten und Jahre. In schwierigen Zeiten unter den Augen von Ermittlern Geschäfte zu machen wurde unmöglich. Nach drei Jahren war der Konkurs eine Tatsache.
    Helga Mohr ließ den Kopf dennoch nicht hängen. Sie luden noch immer ein und behielten das Haus, auch wenn das Personal auf eine Putzfrau jeden zweiten Donnerstag reduziert wurde. Die Tatsache, dass die Behörden mit ihrem Verdacht auf ein beiseitegeschafftes Vermögen im Ausland zwar richtiglagen, dieses jedoch nicht finden konnten, verhinderte den totalen Ruin der Familie.
    Als Helga Mohr 1978 Witwe wurde, ließen die Behörden sie endlich in Ruhe. Ihre Töchter waren fast erwachsen, und Jon und seine Mutter wohnten weiterhin in dem riesigen, wenn auch inzwischen heruntergekommenen Haus in Smestad. Es wurde immer schwieriger, im Ausland verstecktes Geld nach Hause zu bringen. Dennoch hielt die Fassade. Bis sie jetzt abermals bedroht wurde. Aber Helga Mohr hatte nicht vor, nach einundsechzig Jahren ihre Aufgabe als Hüterin der Familie zu vernachlässigen. Sie konnte noch viele Jahre leben, sie war gesund und hatte kaum andere Beschwerden als ein wenig Rheuma und ein trübes Auge, und es wäre ein Verrat an ihrem eigenen Leben gewesen, sich von den Ereignissen einholen zu lassen. Sander war tot, und sie betrauerte ihn aufrichtig. Aber nichts konnte ihn wieder zum Leben erwecken. Ihre Verpflichtungen standen ihr so deutlich vor Augen wie eh und je.
    Jetzt saß die wichtigste davon im Sessel auf der

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