Schattenkrieg
»Die drei anderen Aufträge sind ausgeführt.«
»Dieser Heidenpriester lebt also noch immer?«
»Ja, Eure Eminenz. Der Keltenkult ist dort so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr durch den Tod einer Einzelperson zu stoppen ist – im Gegenteil: Der Priester ist so angesehen, dass er zum Märtyrer wird, wenn er bei einem Anschlag ums Leben kommen würde. Einen Unfall vorzutäuschen hätte mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich zur Verfügung hatte.«
»Ja …« Mathäus nickte nachdenklich, während er seine Lesebrille aus einer Schublade zog und sie bereitlegte. »Und was ist mit dem Rest?«
Christopher ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Eigentlich hätte er nicht erwartet, so glimpflich davonzukommen. Er hatte zwarbisher noch nie versagt, aber er kannte Geschichten von anderen Inquisitoren. Eine Züchtigung war das
Mindeste,
womit er gerechnet hätte. Doch Mathäus’ Gedanken waren woanders, bei den Städten, der zweiten Hälfte seiner Mission.
»Die Städte«, fuhr er in seinem Bericht fort, »sind Pulverfässer, denen nur noch ein kleiner Funken zum Ausbruch fehlt. Bergen steht ein Krieg zwischen Renegaten und Schatten bevor. Hamburg erhält Menschentransporte aus Afrika. Berlin befindet sich am Rande eines Volksaufstandes.«
Nach einer kurzen Pause setzte Mathäus die Brille auf und ergriff Schreibblock und Papier. »Erzähl mir mehr davon.«
»Vor Bergen wurde letzte Woche ein gesunkener Frachter aus dem Sund gezogen, bis an den Rand gefüllt mit ertrunkenen Illegalen aus Somalia. Inzwischen werden diese Transporte umgeleitet, sie gehen nicht mehr nach Bergen, sondern nach Hamburg. In Bergen selbst sind in den letzten zwei oder drei Jahren ungefähr zwanzig- bis dreißigtausend Menschen verschwunden. Ich gehe davon aus, dass der größte Teil davon von den Schatten in die Innenwelt gebracht wurde.« Er hielt kurz inne, etwas irritiert davon, dass der Kardinal nicht mitschrieb. Er tat das sonst immer. »Die örtlichen Renegaten bereiten sich auf eine Eskalation vor und bringen Sprengstoffexperten und andere Spezialisten in die Stadt.«
»Hast du heute schon Nachrichten gehört?«
»Nein.«
»Es sieht so aus, als ob die Renegaten das Pulverfass bereits gezündet hätten. In der Nacht hat es in der Unterwelt Bergens zeitgleich drei Sprengstoffanschläge gegeben, zusätzlich Schießereien an mehreren Stellen der Stadt. Die Polizei spricht von einem eskalierten Bandenkrieg.«
Christopher schüttelte den Kopf. »Renegaten. Ganz sicher.«
»Wir werden Berlin verlieren«, erklärte Mathäus. Er war
wirklich
nicht er selbst. Christopher hatte noch nie erlebt, dass der Kardinal solche Informationen preisgab, wenn es nicht die nächste Mission betraf. Und es klang im Moment nicht so, als ob ihn seine nächste Mission nach Berlin bringen würde.
»Was bleibt, ist Hamburg«, fuhr der Kardinal fort und bestätigte Christophers Überlegung. »Wenn wir eine Chance haben, unseren Einfluss nicht zu verlieren, dann dort.«
»Also Hamburg«, schloss Christopher. »Werde ich alleine gehen?«
»Aber Christopher … niemand hat gesagt, dass du nach Hamburg sollst. Ganz im Gegenteil! Du gehst nach Somalia.«
Christopher zog die Augenbrauen nach oben. Afrika? Das war ein heißes Pflaster. Sie hatten dort nur wenige Spione. Außerdem trieben sich dort Agenten des Islams herum. Es gab zwar keinen offenen Krieg zwischen den Weltreligionen, aber die Möglichkeit, einen fremden Agenten auszuschalten, wurde gerne wahrgenommen. Auch die Übernatürlichen waren in Afrika gefährlicher: Die afrikanischen Stämme waren wilder und ruheloser als die europäischen, in den großen Städten gab es Schatten und Ratten im Überfluss.
Und dann ausgerechnet Somalia! Bitterer Bürgerkrieg seit fast einem Jahrzehnt. Ob die Einheimischen dort schon vergessen hatten, was zwischen ihnen und den Amerikanern vorgefallen war, vor sechs Jahren? Und ob sie die Erfahrungen auch auf Weiße anderer Nationalitäten übertragen würden?
Du bist ein Profi,
beruhigte er sich. »Wann?«
»So schnell wie möglich. Johannes hat dir ein Paket zusammengestellt.«
Christopher stand auf. »Dann mache ich mich auf den Weg. Eure Eminenz.«
»Viel Erfolg, Inquisitor. Und möge Gott mit dir sein.«
Nachdenklich verließ Christopher die Katakomben.
Christophers Hotel lag in der Via Giovanni da Empoli im Stadtviertel Testaccio, etwa eine halbe Stunde vom Vatikan entfernt. Wie üblich waren die Straßen auf dem Weg dorthin vollgestopft mit
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