Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
ebenfalls.
»Das ist ein Zauber, oder? Ihr versteckt euer Dorf unter einer Art Schutzkuppel.«
Bron neigte den Kopf. »Darüber wird Harlenn mit euch sprechen. Mir steht es nicht zu ...«
»Laura!«
Sie sah zur Seite. Milt lief ihr aus einer der Hütten entgegen. Finn folgte ihm etwas langsamer. Er hielt einen großen Krug in der Hand und versuchte, den Inhalt nicht zu verschütten. Die Gesichter beider Männer waren gerötet, ihre Lippen aufgesprungen. Laura spürte auf einmal wieder, wie durstig sie war. Der Anblick des Dorfs hatte sie für einen kurzen Moment davon abgelenkt.
Sie umarmte Milt und küsste ihn auf den Mund. Die beiden Frauen senkten den Blick, als täte sie etwas Unanständiges.
»Wenn ich dich verloren hätte«, flüsterte Milt.
Laura ließ ihn nicht ausreden, drückte ihn stattdessen so fest an sich, dass es schmerzte. »Aber das hast du nicht«, flüsterte sie zurück, den Kopf an seine Brust gelegt. Einen Moment lang blieben sie so stehen, dann hob Laura den Blick und sah über Milts Schulter, dass Finn vor ihr stand. Er lächelte breit, was seine Erschöpfung jedoch nicht verbergen konnte.
»Ich dachte, du könntest vielleicht etwas zu trinken vertragen«, sagte er.
Laura löste sich aus Milts Umarmung und griff nach der Karaffe. Das Wasser schmeckte hart und bitter nach dem aus dem Fluss des Vulkankraters. Trotzdem hätte Laura das ganze Gefäß ausgetrunken, wenn Finn nicht die Hand gehoben hätte.
»Es ist genug da«, sagte er. »Du musst nicht auf Vorrat trinken.«
Keuchend setzte Laura die Karaffe ab. Das Zittern in ihren Beinen ließ nach, ihre Gedanken wurden klarer. Sie spürte auf einmal den Sand unter ihrer Kleidung und das Brennen ihrer Haut. Es kam ihr so vor, als hätte sie zu lange am Strand gelegen.
Ihr Gewissen versetzte ihr einen plötzlichen, heftigen Stich. »Wo ist Nidi?«, fragte sie. Seit Beginn des Sturms hatte sie nicht mehr an den Schrazel gedacht.
»Hier oben!«
Laura hob den Kopf. Nidi hockte wie ein Affe auf einem Dachbalken der größten Hütte und kämmte sein Fell mit allen zehn Fingern. »Du musst dich nicht bedanken«, fuhr er fort. »Irgendwann werdet ihr euch bestimmt dafür revanchieren können.«
Milt seufzte leise. »Das werden wir uns wohl noch ein paarmal anhören dürfen.« Er schien Lauras Verwirrung zu bemerken, denn er setzte zu einer Erklärung an.
Nidi kam ihm jedoch zuvor. »Ich habe euch gerettet. Als Milt zusammenbrach, bin ich aus dem Rucksack geklettert und habe Hilfe geholt. Ohne mich wärt ihr tot.«
»Dann wusstest du, dass hier ein Dorf ist?«, fragte Laura überrascht. »Warum hast du nichts gesagt?«
Nidi brach die Fellpflege ab, dann kratzte er sich am Kopf. »Ich habe es nicht so richtig gewusst, aber als sich die Gelegenheit bot, habe ich sie genutzt.«
»Was übersetzt heißt«, fügte Finn hinzu, »dass er blind durch den Sturm gestolpert und zufällig hier gelandet ist. Und diese netten Leute haben einen Trupp losgeschickt, um uns zu suchen.«
Laura nickte Bron, der ein wenig abseits stand und so tat, als lausche er nicht, zu. »Danke.«
Dann sah sie den Schrazel an. »Und dir natürlich auch, Nidi.«
Bron machte einen Schritt auf sie zu und zeigte auf die große Hütte. »Harlenn erwartet euch«, sagte er. Es klang drängend. »Man lässt ihn nicht warten.«
Wenn es sein muss, dachte Laura. Sie war müde und sehnte sich nach einer Dusche oder zumindest einem Waschzuber voll warmen Wassers und ein wenig Seife. Doch darauf würde sie wohl bis zur Rückkehr in den Krater verzichten müssen.
Nidi kletterte vom Dachbalken und sprang neben ihr auf den Boden, als sie hinter Milt und Finn auf die Hütte zuging. »Redet nur mit ihm«, sagte er gerade laut genug, dass sie ihn verstehen konnten. »Tut so, als sei sie nicht da.«
»Was?«, fragte Milt zurück, doch Bron öffnete bereits die Tür der Hütte und sagte zu jemandem im Inneren: »Harlenn, unsere Gäste möchten sich dir vorstellen.«
»Sie sollen hereinkommen«, antwortete eine Frauenstimme.
Laura folgte Finn und Milt ins Innere. Die Hütte lag im Halbdunkel. Das einzige Fenster wurde von einem zerschlissenen Vorhang bedeckt, auf den Holzdielen lag ein Teppich, dessen Farben längst verblichen waren. Es gab keinen Tisch, kein Regal, keine Kochstelle, nur ein Dutzend in zwei Reihen angeordnete Stühle und ein Podest, auf dem ein großes, fast schon überdimensionales Bett stand.
Laura ließ den Blick kurz über die verschleierte Frau gleiten, die neben
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