Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Versammlung aus gutem Grund einberufen«, sagte er. Seine Stimme war die eines Anführers, ruhig und klar. Wie sie wirklich klang, wusste Cedric nicht, denn die Masken verfremdeten nicht nur das Gesicht, sondern auch die Stimme.
»Das habe ich«, antwortete er mit seiner weitaus weniger beeindruckenden, hölzernen Stimme. Er hatte sich schon oft gefragt, ob die Masken ihre Persönlichkeiten widerspiegelten, und hoffte, dass es nicht so war.
»Gut.« Der Erste Sucher sah wieder hinaus auf den Fluss.
»Willst du ihn nicht hören?«, fragte Cedric.
»Natürlich, aber nicht zweimal. Wir sprechen darüber, wenn die anderen hier sind.«
Mann, kannst du ein arrogantes Arschloch sein, dachte Cedric.
»Ich nehme an, dass sie auch darauf warten mussten, dass König Rimmzahn sein Gefolge freigibt«, fuhr der Erste fort.
Cedric war überrascht. Es geschah nicht oft, dass die Sucher über etwas anderes als ihren Auftrag sprachen. »Er kann einem schon auf die Nerven gehen.«
»Wenn das alles wäre, würde es mich nicht interessieren. Nein, Rimmzahn ist ein Krebsgeschwür, das sich tiefer und tiefer in gesundes Gewebe frisst.«
Ein sehr menschlicher Vergleich. Cedric fragte sich, wie lange der Erste Sucher sich wohl schon in der Welt der Menschen aufhielt.
Äste knackten hinter ihm. Er sah sich um und entdeckte den Zweiten, den Vierten und den Fünften Sucher. Gemeinsam traten sie aus dem Wald.
»Wir sind uns zufällig auf dem Weg begegnet«, sagte der Vierte. Er trug eine filigran wirkende Metallmaske und hatte eine melodische, sanfte Stimme. Die beiden anderen, der Zweite mit der Pierrotmaske aus Kristall und der Fünfte, der eine seltsame Porzellanmaske trug, die ihm das Aussehen eines Clowns verlieh, nickten Cedric und dem Ersten zu.
»Warum trägst du immer noch deine Holzmaske?«, fragte der Vierte. Cedric hätte seiner Stimme stundenlang lauschen können. »Wir wissen doch alle, wer du bist.«
Das stimmte. Erst wenige Tage zuvor hatte er seine Identität preisgeben müssen und damit die Menschengruppe in zwei Lager gespalten. Bevor er antworten konnte, sprach der Erste.
»Cedric handelt richtig«, sagte er. »Wir sollten stets davon ausgehen, dass uns ein Feind beobachtet, der nicht notwendigerweise das Gleiche weiß wie die Passagiere. Außerdem ist es Tradition. Wir sind Sucher, und Sucher tragen Masken.« Seine letzten Worte klangen fast trotzig.
Cedric räusperte sich. »Und genau wegen des Umstandes meiner Enttarnung habe ich euch zusammengerufen. Ich befürchte, dass ich euch und damit unseren Auftrag in Gefahr bringe.«
Der Fünfte legte den Kopf schräg. »Das sehe ich nicht so«, sagte er mit einer Stimme, so leise wie ein Atemhauch. Cedric konnte ihn kaum verstehen. »Niemand von Belang weiß, wer du bist.«
»Und wenn es der Schattenlord weiß?«
Die anderen Sucher sahen ihn an. Die Blicke hinter den Augenschlitzen ihrer Masken waren unlesbar.
»Denkt mal nach«, fuhr er fort. »Wir sind bisher davon ausgegangen, dass er irgendwo in Innistìr lauert und uns auf magische Weise ab und zu beobachtet ... durch eine Kristallkugel oder was weiß ich. Aber ergibt das Sinn?«
»Was spricht dagegen?«, fragte der Erste. Es war eine neutrale Frage, die Argumente forderte, keine Spekulationen.
»Sein häufiger Kontakt zu Laura.« Cedric wartete, bis seine Worte eingesunken waren, dann sagte er: »Wie soll er den herstellen, wenn er irgendwo weit weg ist? Verlässt er jedes Mal, wenn er sie terrorisieren will, seinen geheimen Palast ...«
»Seine Superschurkenfestung«, sagte der Erste leise und wohl zu sich selbst. Cedric wusste nicht, was das bedeuten sollte, nahm aber an, dass es sich um etwas handelte, was der Erste bei den Menschen auf geschnappt hatte. Er ging nicht darauf ein.
»... seinen geheimen Palast, kommt wie auch immer zu Laura und kehrt dann zurück? Wieso sollte er so einen Schwachsinn tun?«
»Er muss ja nicht körperlich anwesend sein«, sagte der Zweite.
»Wenn er überhaupt einen Körper hat«, warf der Vierte ein.
»Selbst dann ist mir das zu kompliziert.« Cedric wollte sich durch das Gesicht fahren und stieß mit den Fingerspitzen gegen die Maske. »Ich glaube, dass er uns seit dem Absturz verfolgt. Er ist nicht irgendwo da draußen, er ist in unserer Nähe, und das schon die ganze Zeit.«
»Warum?« Wieder war es der Erste, der die einzig wesentliche Frage stellte.
»Weil er hier gefangen ist und aus irgendeinem Grund glaubt, dass er mit Lauras Hilfe entkommen kann.«
Er
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